Hinter den Kulissen des Europacup-Rennens im Paracycling in Prag und noch viel mehr …

Startaufstellung vor dem Straßenrennen

Es war für mich eine große Freude, dass ich mit meinem Tandemguide Tobi zu einem Europacup-Rennen nach Prag fahren durfte, welches er gemeinsam mit seinem blinden Freund Sepp bestritt. Zuvor hatten die beiden bereits mehrere Rennen innerhalb Deutschlands sowie die Deutsche Paratriathlon-Meisterschaft bestritten und waren im vergangenen Jahr bereits in Prag gestartet. Was ich nicht ahnen konnte war, dass der Fokus zwar auf dem Radsport lag, es aber noch einiges mehr zu entdecken geben würde …

Die Reise begann am Freitag, den 28. September 2018. Bereits am Vormittag machten wir uns auf den Weg. Damit meine beiden Mitfahrer nicht bis nach Karlsruhe fahren mussten, fuhr ich  ihnen mit dem Zug entgegen. Nachdem ich am Bahnhof in Walldorf zugestiegen war, verbrachten wir die nächsten sechs Stunden im Auto. Zwar war die Autobahn nicht ganz staufrei, jedoch leitete uns das Navigationssystem am Stau vorbei, sodass wir sogar früher als erwartet ankamen. Bevor wir erstmals zur Rennstrecke fuhren, besorgten wir uns den Schlüssel zu unserer Ferienwohnung, was ich gleich mit einer kleinen Erkundungstour verband. An der Rennstrecke holten Sepp und Tobi dann ihre Startunterlagen ab und luden das Tandem, welches auf einem Gepäckträger auf dem Dach des Autos transportiert wurde, ab. Ich freute mich sehr, als ich die beiden ganz praktisch unterstützen konnte, indem ich sie bei der Wettkampfbesprechung vertrat. Die Wettkampfbesprechung fand in einem großen Zelt statt und wurde ausschließlich auf Englisch abgehalten. Wie sich später herausstellte, hatte ich einige Dinge falsch verstanden und als ich eine Rückfrage stellte, kam es ebenfalls zu Missverständnissen, trotzdem war es eine Aufgabe, die mir viel Spaß machte und ganz nebenbei eine tolle Auffrischung meiner Englischkenntnisse darstellte. Themen der Wettkampfbesprechung waren die Startzeiten, die Position der Startnummer am Rad, die Bewertung der Rennergebnisse und Informationen zum medizinischen Dienst.

Nachdem Sepp und Tobi ihre Testfahrt auf der Rennstrecke beendet und wir uns in der Ferienwohnung eingerichtet hatten, fuhren wir in die Innenstadt Prags, die mich besonders beeindruckte, auch wenn einige Dinge für mich als Blinde nicht ersichtlich waren. So findet man in Prag überall alte Gebäude und Statuen. Obwohl es schon sehr spät abends war, waren immer noch unzählige Ausflugsschiffe auf der Moldau unterwegs. Wir konnten beobachten, wie in Tschechien getanzt wird, und überall gab es Musik, mal ein Akkordeonspieler am Straßenrand, mal Jazzmusik aus einer Kneipe und kurz darauf Metal aus einem Restaurant. Die Innenstadt Prags ist riesig und sehr belebt. Auch was Nahrungsmittel anbelangt ist hier manches anders als in Deutschland. So sind die Äpfel, Nektarinen und Zwetschgen im Supermarkt viel größer und wir stießen auf sehr viele Süßigkeiten, die wir bis dato nicht kannten. Als wir zurück in der Wohnung waren und einige der unbekannten Süßigkeiten probierten, mussten wir feststellen, dass manche sehr gut, andere aber auch sehr seltsam schmeckten – anderes Land, andere Geschmäcker.

Am nächsten Morgen machten wir uns ausgeschlafen auf den Weg zu einer Bäckerei, um uns etwas zum Frühstücken zu besorgen, bevor wir gegen 11.30 Uhr an der Rennstrecke ankamen. Heute stand das Straßenrennen auf dem Programm. 17 Runden von je 3,3 Kilometern galt es zu absolvieren, wobei Sepp und Tobi das einzige deutsche Tandem am Start bildeten und mit einem serbischen, einem slowakischen, einem niederländischen, einem israelischen, zwei italienischen und vier polnischen Teams gleich zehn andere Tandems die Konkurrenz darstellten. Bevor es aber zum Start ging, gab es noch einiges zu organisieren: Ist beim Rad alles in Ordnung? Wie viel Energie müssen wir wann zu uns nehmen, damit es möglichst effizient ist? Wie viel Watt muss wer treten? Auf wie viel bar müssen die Reifen aufgepumpt werden? Da wurde kalkuliert und optimiert, was das Zeug hält. Ich stand dabei, hörte zu und kam zu dem Entschluss, dass das Training ein Aspekt, aber nicht der einzige Aspekt, der darüber entscheidet, wie gut man bei einem Rennen abschneidet, ist – Ernährung, Körpergewicht, Gewicht und Qualität des Materials, aus dem das Rad besteht, eine mental stabile Verfassung, Motivation, ein effektiver Energie- und Krafthaushalt und nicht zuletzt eine perfekte Zusammenarbeit beider Fahrer sind ebenfalls ausschlaggebende Faktoren.

Und dann ging es los: Man hatte mich mit der Kamera ausgestattet und zur Strecke geführt, damit ich dort meine Aufgabe als Kamerafrau ausführen konnte – ja, ihr habt richtig gelesen, ich sollte die beiden filmen. So platzierten sich Sepp und Tobi in der Startaufstellung – und ich verpasste natürlich prompt den Start! Auch danach gestaltete sich das Filmen als sehr schwierig: Ich hatte keine Ahnung, wann das deutsche Tandem an mir vorbeifuhr und die Moderation erfolgte zu 90 Prozent auf Tschechisch. Ich filmte also einfach mal drauf los, ohne zu wissen, wer oder was mir da vor die Linse kam. Erst als das Rennen beendet war, erfuhr ich, wie es gelaufen war: Sie hatten die beiden Italiener hinter sich lassen können, blieben aber gegen alle anderen chancenlos – Platz neun von elf war das Ergebnis. Schade, dass mein Film vermutlich nicht besser war …

In den nächsten Stunden drehte sich nahezu jedes Gespräch darum, ob man schneller bzw. besser als im Vorjahr war, was gut lief, was schlecht lief, was langfristig, was beim Zeitfahren am Folgetag optimiert werden muss und vieles mehr. Dabei wurden sowohl die Gesamtzeiten als auch die einzelnen Rundenzeiten aller Fahrer genau studiert und mit den Zeiten des Vorjahres und Daten anderer Rennen verglichen. Währenddessen ruhten wir uns etwas aus  und fuhren wieder in die Stadt. Nachdem wir uns in einem Restaurant gestärkt hatten, kauften wir ein paar Dinge für den Sonntag ein. Bevor wir zurück zur Wohnung fuhren, probierten wir noch eine tschechische Spezialität, die wir am Vorabend schon entdeckt hatten: Trdlo. Dafür wird ein Stück Teig um eine Art Nudelholz gewickelt, welches während des Backvorgangs langsam, aber gleichmäßig gedreht wird, und anschließend mit Nutella, Schokolade, Eis, Apfelmus, Marmelade oder etwas anderem gefüllt. Bekommen kann man diese Trdlos, die ausgesprochen gut schmecken, aber einen in puncto Aussprache durchaus herausfordern, gefühlt alle paar Meter an Ständen am Straßenrand.

Bevor es am nächsten Tag noch einmal zur Rennstrecke ging, mussten wir unser Gepäck wieder ins Auto einladen und den Wohnungsschlüssel abgeben. Die Zeit war wirklich schnell vergangen! An der Rennstrecke lief es dann ähnlich ab wie vor dem Straßenrennen, wobei Sepp und Tobi, im Gegensatz zu vielen anderen Fahrern, keine Teile ihres Rades austauschten. Dafür lernte ich heute die Rolle, eine praktische Hilfe zum Warmfahren, kennen. In die Rolle kann man das Tandem einspannen und sich dann unter Realbedingungen einfahren, nur mit dem Unterschied, dass das Rad mit der Rolle fest verbunden ist und man sich deshalb nur auf der Stelle bewegt. Auch musste ich heute nicht filmen: denn Sepp und Tobi hatten vorab eine Stelle an der Strecke, an der die Kamera entsprechend platziert wurde, gefunden.

Und dann ging es erneut an den Start. Diesmal starteten nicht alle auf ein Startsignal, sondern es startete immer ein Rad pro Minute. Da der Start sich an der Platzierung des Straßenrennens orientierte und die Letzten zuerst starteten, waren Sepp und Tobi als drittes an der Reihe. Fünf Runden, also 16,5 Kilometer, mussten so schnell wie möglich zurückgelegt werden. Auch hier bekam ich, abgesehen vom Start, nur sehr wenig mit, und auch hier landeten die beiden auf Platz neun, und wieder wurde im Anschluss analysiert und diskutiert. Es wurden aber auch Gespräche mit anderen Tandemfahrern geführt, was durchaus interessant war, da man sich austauschen konnte und dadurch viel voneinander erfuhr. Danach luden wir das Tandem aufs Auto und machten uns nach einer letzten Stärkung an der Rennstrecke auf den Weg Richtung Deutschland, der vollkommen reibungslos verlief.

Es gab durchaus Momente, in denen ich mich fragte, von was Sepp und Tobi da sprachen und was sie taten, jedoch war dies vorhersehbar und so kann ich im Großen und Ganzen auf ein sehr interessantes Wochenende zurückblicken. Vielen Dank an Sepp und Tobi, dass ich mitfahren durfte!Wieso steht hier ein Stuhl im Aufzug Warmfahren auf der Rolle Vorbereitungen vor dem Start Unsere Küche Unser Schlafzimmer Unser beladenes Auto Startaufstellung vor dem Straßenrennen Sepp und Tobi im Wiegetritt Sepp und Tobi beim Überholen der Italiener Sepp und Tobi an der Strecke Sepp und Tobi am Limit Kerstin und Tobi am Morgen vor dem Start Kerstin Sepp und Tobi an der Strecke Kerstin findet den Zimmerschlüssel Herausbeschleunigen auf Start-Ziel Gebäude in Prag 3 Die Startunterlagen Das Team während der Fahrt Abenddämmerung in der Altstadt