Zum Inhalt springen

Musik beim Sonntagstreff

Kerstin am Klavier beim Sonntagstreff

Am Sonntag, den 24.03.2019, hatte ich meinen nächsten Auftritt – doch diesmal mal wieder ganz unter dem Motto „Musik für andere“.

Einige Tage zuvor erreichte mich die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, beim Sonntagstreff ein bisschen Klavier zu spielen. Der Sonntagstreff richtet sich an Menschen in schwierigen Lebenslagen wie beispielsweise sozial schwache, einsame oder obdachlose Personen und findet jeden Sonntag in einem anderen Stadtteil statt. Diesmal war der große Saal des evangelischen Gemeindezentrums in Hagsfeld Veranstaltungsort.

Als ich ankam, war das Küchenpersonal schon eifrig am schnippeln, kochen und braten. Ich spendete einen Kuchen für das nachmittägliche Kaffeetrinken und freute mich, dass auch andere Kuchenspenden vorbeibrachten. Da die Eingangstür noch verschlossen, der Saal also noch ganz leer war, machte ich mich mit einer sehenden Mitarbeiterin auf Erkundungstour: Alle Tische waren liebevoll eingedeckt mit Blumen und einer kleinen Tüte Gummibärchen an jedem Platz, und man zeigte mir auch, wo der Flügel stand.

Und dann kamen die Menschen. Es waren die unterschiedlichsten Leute, von Familien mit Kleinkindern über junge Erwachsene bis hin zu alten Menschen war alles vertreten – und genauso verschieden waren auch ihre Schicksale. Das leckere Mittagessen (Fleischkäse mit Kartoffelsalat beziehungsweise Nudln mit Tomatensauce) war eine perfekte Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen, beispielsweise mit einer jungen Mutter mit ihren Kindern. Die Situation, das zur Verfügung stehende Geld genau einteilen zu müssen und das Bedauern, den Kindern nicht mehr bieten zu können, stimmte mich sehr nachdenklich. Auch merkte ich, dass wohnungslose Menschen sehr unterschiedlich mit ihrer Lage umgehen: Manche verzweifeln daran, weil sie keinen Ausweg sehen. Ich unterhielt mich aber auch lange mit einem Mann, der das Leben auf der Straße trotz keinem Einkommen versucht, bestmöglich zu genießen, ganz nach dem Motto: Ich kann aktuell eh nichts daran ändern – diese Lebensfreude war beeindruckend! Ich lernte viel über die möglichen Sozialleistungen, die beantragt werden können und über Angebote der Arbeitsagentur, aber auch über Nächte in der Kälte und wie manche Menschen aufgrund ihrer sozialen Stellung von anderen beleidigt oder nicht ernstgenommen werden.

Nach dem Mittagessen kam dann mein Job: Ich wurde zum Flügel geführt und angekündigt. Was sollte ich spielen? Um ehrlich zu sein, wusste ich das selbst, als ich an den Tasten saß, noch nicht hundertprozentig. Ich spielte einfach meine Instrumentalstücke, die ich zu meinem Repertoire zählen kann, durch, wie sie mir gerade in den Sinn kamen. Der Auftritt war qualitativ nicht so hochwertig wie der Auftritt eine Woche zuvor, doch es ging schließlich auch nicht darum, die Leute mitzureißen, sondern den Menschen eine Freude zu machen – und das schaffte ich auf jeden Fall!

Während einige bei einem kleinen Spaziergang das schöne Wetter genossen, kamen viele Leute auf mich zu, um mir Fragen zu meiner Blindheit zu stellen. Sie waren total interessiert und wollten beispielsweise wissen, wie ich mich außerhalb meiner vier Wände bewege, wie ich am Computer arbeite und wie ich mir neue Lieder aneigne.

Der zweite Teil des Treffs wurde mit einer humorvollen Geschichte eingeleitet. Anschließend wurde Memory gespielt, wobei die dafür verwendeten Bildkarten alle an einer großen Wäscheleine aufgehängt waren. Jedoch kann ich zu dem Spiel nicht mehr sagen, da alles, was dann passierte, visuell war und größtenteils ohne oder nur mit wenigen Worten vonstatten ging. Danach wurde es dafür umso greifbarer für mich: Es gab Kaffee und Kuchen, was für einen entspannten Ausklang sorgte.

Es war eine spannende Erfahrung, mit sozial schwachen oder wohnungslosen Menschen in Kontakt zu kommen. Häufig sieht man (oder man bekommt es gesagt, dass sie zu sehen sind) solche Menschen zwar mal am Straßenrand o. Ä., hat aber keinen Kontakt zu ihnen. Heute habe ich erfahren, was für Ursachen und Schicksale einer solchen Situation zugrunde liegen können und dass Vorurteile wie „Obdachlose trinken immer nur Alkohol und rauchen“ oder „Obdachlose sind aggressiv“ absolut nicht der Wahrheit entsprechen. Sicher gibt es auch solche Menschen, doch die Menschen, die ich heute kennengelernt habe, waren alle nicht viel anders als Du und ich, freundlich und sehr offen. Und: Es war ein tolles Gefühl, mit meiner Musik anderen Freude schenken zu können!