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Schminken – eine rein visuelle Erfahrung?

Portraitbild

Das Wort „schminken“ wird – logischerweise – meist mit verschiedenen Farben bzw. einer visuellen Verschönerung des Gesichts in Verbindung gebracht. Wenn man nun einen Zusammenhang zwischen Schminken und Blindheit finden soll, liegt der Gedanke, dass Blinde ja nichts mit Farben zu tun haben und sie doch eh nicht sehen, wie sie aussehen und es ihnen deshalb ja egal sein müsste, sehr nahe. Doch das ist falsch, denn meiner Meinung nach müssten gerade solche visuellen Dinge bei Blinden einen noch höheren Stellenwert als bei Sehenden einnehmen. Ich finde es wichtig, dass auch Nichtsehende intensiv für die verschiedenen Farben sensibilisiert werden, genauso wie für die vollkommen selbstverständlichen Dinge Sehender, die mitunter einen entscheidenden Faktor in Bezug auf eine gute Außenwirkung darstellen – wozu beispielsweise gehört, dass sich viele sehende Frauen schminken. Durch eine gute Kenntnis meines „visuellen Ichs“ und meiner „visuellen Umwelt“ kann ich zwar trotzdem nicht sehen, aber ich weiß: Welche Farben passen zusammen? Handelt es sich bei der Bluse um ein kindliches oder um ein erwachsenes rosa? Oder auch: Was macht den Unterschied zwischen einem geschminkten und einem ungeschminkten Gesicht? Natürlich wäre es nicht so angemessen, plötzlich von Passanten angesprochen zu werden: „Das T-Shirt, was du da trägst, ist aber nicht modisch“ oder „igitt, Sie sollten sich aber mal dringendst einen Termin beim Kosmetiker machen“ – nein!!! Aber wir Blinde sind bei solch ausschließlich über den Sehsinn feststellbaren Dingen zwangsläufig auf andere wie z. B. Eltern, Freunde etc. angewiesen, die uns darauf hinweisen, denn durch das Nichts-sehen passen wir uns ja nicht, wie die Sehenden, automatisch unserer Umwelt an. Entsprechend erfreut war ich, als meine sehende Freundin Kathrin mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, im Rahmen ihrer Prüfung, die sie offiziell zur Visagistin (eine Frau, die nicht sich selbst, sondern jemand anderes schminkt) qualifizierte, als Schminkmodell zu agieren.

So kam ich etwas aufgeregt, aber sehr interessiert am Sonntag, den 02.09.2018, gegen 14.30 Uhr in einem Frankfurter Hotel, in dem das Ganze stattfand, an. Ich war die einzige Blinde unter den Schminkmodellen, mit Abstand die Jüngste und garantiert auch am unerfahrendsten: Wie verhält man sich bei so einer Prüfung? Wie ticken die Frauen in diesem „Genre“? Wird es schlimm sein, dass ich so überhaupt keine Ahnung von dem Thema habe?

Insgesamt wurde ich zweimal geschminkt, wobei die angehenden Visagistinnen jeweils 40 Minuten Zeit hatten – hört sich viel an, ist es aber nicht, denn die Auswahl an Schminkartikeln ist so unübersichtlich, dass ich vor den Prüflingen, die in diesem „Chaos“ perfekt zurechtfanden, großen Respekt habe. Auch stelle ich es mir nicht einfach vor, für jede Person auf Anhieb zu wissen, was ihr farblich steht und was nicht – wobei ich natürlich auch nicht weiß, ob es nicht sogar für alle Sehenden so leicht ist und Visagistinnen ihr „Farbprofil“ einfach nur mit ihrem zur Verfügung stehenden Schminkmaterial abgleichen. Trotzdem war mir natürlich schnell klar, dass das hier kein „Ich schmink‘ mich mal schnell“ war, sondern dass Schminken in größerem Stil durchaus auch eine Form von Kunst, die man erlernen muss, ist. Da wurde mit Pinseln, Tüchern und Händen getupft, gerieben, geklopft und gestrichen, zwischendrin überlegt „Passt jetzt dies oder jenes besser?“ und am Ende ein ultimativer Schönheitscheck gemacht. Nachdem die Zeit abgelaufen war, mussten alle Schminkmodelle nacheinander vortreten und wurden von der Prüferin begutachtet. Darauf basierend bewertete sie die Arbeit der 22 Kursteilnehmerinnen, die ebenfalls alle versammelt waren, aufmerksam zuhörten und – zwischenzeitigem Murmeln nach zu urteilen – ebenfalls den Blick auf die Schminkmodelle gerichtet hatten. Jede konnte diese farblichen Faszinationen, die das Gesicht offensichtlich sehr zu prägen und zu verschönern schienen, begutachten – außer ich. „Fühlt man das irgendwie, dass man anders aussieht?“, wurde ich gefragt. Nein, ich merkte keinen Unterschied, außer der Tatsache, dass an manchen Stellen im Gesicht etwas Nasses und Kaltes auf meiner Haut war. Ich konnte nur hören, wie die Prüferin Kathrin für die Arbeit lobte und wie sie mehrfach betonte, was für eine hübsche Frau ich doch sei, und alle ihr zustimmten – das war durchaus ein emotionaler Moment, und auf dieses akustische Feedback musste ich vertrauen.

Später bei der zweiten Schminkrunde fiel die Aussage: „Schade, dass du die Fotos von dir nicht sehen kannst.“ Ich konnte noch nie sehen und kann mir deshalb auch nicht vorstellen, wie Sehende so etwas wahrnehmen, weshalb mir das auch nichts ausmacht, es nicht sehen zu können, aber natürlich versuche ich mir vorzustellen, wie mein Make-Up visuell wirkt. Das war auch der Grund für folgendes Gespräch, mit dem ich gerne abschließen möchte:

„Welchen Unterschied hat die Schminke bei mir eigentlich visuell gemacht?“

„Es ist, als würdest du ein Musikstück hören, bei dem aber das Schlagzeug fehlt, und dann kommt es dazu – und das Stück wirkt einfach viel ausdrucksstärker, viel vollkommener.“

„Heißt das dann, dass man eigentlich gar nicht ungeschminkt herumlaufen kann?“

„Doch, du kannst durchaus ungeschminkt herumlaufen, denn es gibt noch einen weiteren Faktor, den man nicht vergessen sollte: Die natürliche Schönheit. Jedoch sollten alle die Möglichkeit haben, so etwas in Erfahrung zu bringen und dann bewusst eine Entscheidung für sich selbst zu treffen – unabhängig des Sehvermögens.“

Vielen Dank für diese tolle und spannende Erfahrung, bei der ich einen wertvollen Einblick in eine weitere Facette der „rein visuellen Welt“ bekommen konnte – und auch auf diesem Wege nochmal herzlichen Glückwunsch liebe Kathrin zur bestandenen Visagistenprüfung!

 

Mein Auge in Nahaufnahme Kathrin bei der Arbeit  Seitenansicht PortraitbildKathrin und ich    Tobi und ich