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Wie ich blind durch die Welt gehe

Vor kurzem habe ich einen neuen Blindenstock bekommen. Aber wozu brauche ich den eigentlich? Und wie bewege ich mich eigentlich im Straßenverkehr? Ich möchte diesen Anlass nutzen, um Euch meine mobilitätstechnischen Tricks und Hilfen etwas näher zu bringen.

 

Es ist Mittwochnachmittag und ich muss nach Heidelberg zu einem Termin – konkret bedeutet das: Erst zu Fuß, dann mit dem Bus, dann mit der Straßenbahn und dann nochmal ein kurzer Fußweg. Da liegt ein ganzes Stück Weg vor mir. Seid ihr bereit? Na, dann lasst uns losgehen!

 

Ohne meinen Stock geht nichts!

Das wichtigste Hilfsmittel ist für mich mein Blindenstock – ohne den geht gar nichts! Am einen Ende des Stocks ist eine Kugel angebracht. Wenn ich mit dem Blindenstock unterwegs bin, befindet sich diese Kugel auf dem Boden. Um meine Umgebung erfassen zu können, bewege ich den Blindenstock im Rhythmus zu meinen Schritten hin und her. Das bedeutet nicht, dass ich unorganisiert damit herumfuchtele. Die Kugel bleibt immer auf dem Boden und ich bewege den Blindenstock nur etwa in Schulterbreite. So merke ich genau an den Stellen, die unmittelbar vor mir sind, ob eine Treppe oder eine Bordsteinkante kommt oder ob da jemand seinen Sperrmüll rausgestellt hat. Damit sich die Kugel gleichmäßig abnutzt, dreht sie sich mit der Bewegung des Blindenstocks. Und wenn ich den Stock – wie beispielsweise nachher bei meinem Termin – nicht brauche, kann ich ihn einfach zusammenklappen und ihn in meine Tasche oder unter den Stuhl legen. Davon abgesehen, dass ich als blinde Person gesetzlich verpflichtet bin, mich als „blind“ zu kennzeichnen, würde ich mich ohne Blindenstock alleine unsicher und in vielen Situationen hilflos fühlen.

 

Einmal durch den Ort

Der Weg zur Bushaltestelle führt mich einmal durch den Ortskern. Hier komme ich an verschiedenen kleineren Geschäften sowie am Wochenmarkt vorbei. Ich muss Straßen überqueren, an diversen Einfahrten und Abzweigungen vorbei und abgestellten Fahrrädern, Tischen vor einem Café, Verkaufsschildern, Laternenpfosten und einem auf dem Weg geparkten Auto ausweichen. Eigentlich habe ich hier dahingehend inzwischen viel Routine, trotzdem fordert dieses Stück des Weges meine volle Konzentration.

 

Unterwegs mit Bus und Bahn

Endlich bin ich an der Bushaltestelle angelangt. Nun heißt es: Den richtigen Bus nehmen. Normalerweise müsste ich an dieser Stelle den Fahrer fragen, welcher Bus da vor mir steht, aber in diesem Fall habe ich Glück, denn ich kann alle Busse nehmen, die kommen. Dennoch stelle ich mich ganz vorne an die Haltestelle und stelle meinen Blindenstock vor mich. Das ist sehr wichtig, denn der Blindenstock ist nicht nur eine Hilfe für mich, sondern auch – wie bereits erwähnt – ein Erkennungszeichen für andere. Er macht darauf aufmerksam, dass ich nichts sehe und die Menschen um mich herum Rücksicht auf mich nehmen sollen.

 

Die Fahrerin der Straßenbahn, in die ich nach meiner Busfahrt steigen muss, demonstriert das vorbildlich: Sie sagt von sich aus die Bahnlinie durchs Außenmikrofon durch und macht die Tür auf, damit ich sie finden kann. Das wünsche ich mir öfter. Gerade an Haltestellen, an denen mehrere Bahnlinien fahren, würde das so vieles erleichtern! Oft hören sich alle Bahnen gleich an, und deshalb muss ich immer nachfragen oder einfach einsteigen, wenn ich das Gefühl habe, dass das die richtige Bahn sein könnte. In Karlsruhe gibt es zwischen manchen Bahntypen noch akustische Unterschiede, da kenne ich dann die Reihenfolge der einfahrenden Bahnlinien und hoffe halt, dass keine Bahn ausfällt oder Verspätung hat und alles durcheinanderbringt. Das ist aber alles nicht optimal und so bleibt mir oft nur das Nachfragen. Dass die Fahrer die Bahnlinie durchsagen, ist leider sehr selten – schade!

 

In der Bahn selbst kriege ich direkt einen Sitzplatz angeboten. Klar könnte ich auch stehen, aber die Bahn ist so voll, dass ohnehin überall Leute stehen, da bin ich ganz froh, wenn ich aus dem Trubel raus bin. In der Regel ist Bahnfahren recht entspannt. Wie sicher auch einige von Euch Sehenden schon gemerkt haben, gibt es in der Regel Haltestellenansagen, sodass ich die richtige Haltestelle nicht verpassen kann. Blöd wird es nur, wenn die Ansage mal ausfällt, was nicht so oft, aber doch ab und zu mal passiert. Klar kann man nachfragen, wo man sich gerade befindet, aber das mache ich ungern, weil ich genau weiß, dass ich das eigentlich selbst mitbekommen könnte. In meiner Heimatstadt Karlsruhe komme ich auf den Strecken, die ich immer wieder fahre, inzwischen auch ohne Ansage  gut klar, aber auf Strecken, die ich seltener fahre, wird es schon schwieriger: Mag ja sein, dass ich die Reihenfolge der Haltestelle kenne, aber dann will an einer Haltestelle mal niemand ein- oder aussteigen oder die Bahn fährt kurzfristig Umleitung – kurzum: Eine Straßenbahn ohne Ansage ist einfach blöd und immer mit dem Risiko verbunden, falsch zu fahren oder an der falschen Haltestelle auszusteigen.

 

Straßenquerungen

Wenn dann alles gut läuft und die Ansage vorhanden ist, komme ich irgendwann in Heidelberg an der richtigen Haltestelle an. Ich steige aus der Bahn aus – und muss erstmal die Straße überqueren. Straßenüberquerungen können ganz unterschiedlich aussehen. In diesem Fall gibt es eine Ampel mit Blindensignal. Wenn Ihr irgendwo mal ein regelmäßiges Klicken an einer Straße oder einer Haltestelle hört, kann es gut sein, dass es von einer Blindenampel stammt. Der Trick dabei ist: Neben einem ganz normalen Knopf für Sehende gibt es – etwas versteckt – einen speziellen Knopf für Blinde. Dieser Knopf ist als Pfeil dargestellt, der in die entsprechende Richtung zeigt, in die man laufen muss. Das ist beispielsweise dann hilfreich, wenn es – wie an diesem Ampelmast – zwei Ampelknöpfe gibt, wobei das eine Signal der Straße vor mir und das andere Signal den Straßenbahngleisen hinter mir gilt. In Kombination mit dem taktilen Aufmerksamkeitsfeld auf dem Boden kann ich mich genau ausrichten, sodass ich die Straße nicht schräg überquere. Wenn die Ampel grün wird, piepst diese. Es gibt auch Ampeln, an denen es keinen speziellen Pfeil für Blinde gibt, bei denen man aber bei grün eine Vibration spüren kann, wenn man die Hand auf die Ampel legt. Wenn man eine Straße überqueren muss, an der es keine Blindenampel gibt, gibt es dafür auch einen Trick: Man wartet, bis die Ampel rot wird und der Querverkehr vorbeifährt, und wenn man dann den Parallelverkehr wieder anfahren hört, läuft man mit über die Straße. Es gibt aber auch Kreuzungen, die so kompliziert und befahren sind, dass man sich entweder jemanden sucht, der einen mit rübernimmt, oder – wenn möglich – die Kreuzung meidet.

 

WICHTIG für alle Sehenden:

Leider trifft man immer wieder Leute, die einen einfach über die Straße ziehen, ohne etwas zu sagen und glauben, sie wüssten genau, wo die blinde Person hinlaufen möchte. Jedoch greift man – bei aller Gutmütigkeit – damit in das Konzept der blinden Person ein, was häufig Orientierungslosigkeit und Verwirrung zur Folge hat. Deshalb: Wenn Ihr helfen wollt, bitte immer erst fragen und auch akzeptieren, wenn die blinde Person dankend ablehnt! Der andere Fall, der immer wieder vorkommt, ist, dass ich aktiv nach Hilfe suche und entweder ausgerechnet jetzt niemand da ist oder aber zwar jemand in der Nähe ist, sich aber nicht akustisch bemerkbar macht. Bitte seid in solchen Situationen so offen und geht entsprechend auf uns zu!

 

Sichere Ankunft

Der Rest meines Weges ist nicht schwer und für mich problemlos zu finden. Den richtigen Eingang erkenne ich an einer gut hörbaren Tiefgarageneinfahrt. Dank meines Blindenstocks, Hilfen wie Blindenampeln und Blindenleitsystemen, aufmerksamen und hilfsbereiten Mitmenschen und einigen Tricks und Techniken konnte ich komplett alleine mit Bus und Bahn nach Heidelberg  bzw. zurück ins Internat fahren und meinen Termin wahrnehmen, ohne dass ich jemanden darum bitten musste, mich zu begleiten. Blind weitgehend unabhängig und selbstständig von sehenden zu sein, ist durchaus möglich – man muss nur wissen, wie!