Ich gebe zu, bei meinem jungen Alter bin ich nie ohne Technik aufgewachsen. Und gewiss kennt jede und jeder Momente, in denen man die Technik verflucht oder man auf Berichte über Fernsehsucht, Stromausfälle oder den Datenschutz stößt – doch die Technik bringt gerade für mich als Blinde große Vorteile mit sich.
Ich erinnere mich noch gut an meine Kurzschriftlehrerin. Kurzschrift ist eine stark verkürzte Form der Blindenschrift (in einem anderen Beitrag gehe ich darauf nochmal konkret ein). Jedenfalls war die Kurzschriftlehrerin selbst blind – ein großer Vorteil, denn so war die Schrift ein ganz normaler Bestandteil ihres Alltags. Die Klassenarbeiten und Tests schrieben wir immer an einer mechanischen Schreibmaschine. Die Aufgabenstellungen waren auf einem separaten Papier, welches ebenfalls auf der Schreibmaschine geschrieben wurde. Ich persönlich schrieb eigentlich sehr gerne damit, jedoch konnte man Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler nur sehr schwer bis gar nicht korrigieren. Einige Tage nach dem Schreiben der Arbeit bekamen wir den Aufschrieb wieder zurück – mit Kommentaren und Punkten, die die Fehler kennzeichneten, zwischen den Wörtern. Da ich selbst einmal eine Kurzschriftschülerin hatte, weiß ich, was für ein enormer Zeit- und Kraftaufwand dahinter steckt: Man muss jedes einzelne Blatt in die Schreibmaschine einspannen und den Schreibkopf exakt an der Stelle, an der man schreiben möchte, positionieren, was eine enorme Feinfühligkeit, Genauigkeit und Konzentration voraussetzt. Die Vorstellung, dass solche Umstände noch vor wenigen Jahrzehnten vollkommen alltäglich waren, ist für mich nur schwer greifbar und fast erschreckend. Was für eine enorme Arbeitsleistung mussten insbesondere die Pädagogen und Pädagoginnen damals erbringen! Da stellt sich wirklich die Frage: War die schulische Bildung für Blinde damals eingeschränkter oder mussten die Lehrkräfte mehr investieren? Ganz davon abgesehen: Wer die Blindenschrift nicht fließend lesen und schreiben konnte, war in der Blindenschule wohl zu 100 Prozent fehl am Platz …
Und heute? Heute sieht das alles ganz anders aus. Heute gibt es mit den Braillezeilen Geräte, die mittels Computersoftware den Inhalt des Computerbildschirms in Blindenschrift anzeigen können, und zusätzlich kann man sich den Text über eine Sprachausgabe vorlesen lassen. Nicht ohne Grund werden alle Lehrbücher für meine bevorstehende Ausbildung digitalisiert: Sie können von anderen Blinden, die ebenfalls diesen Beruf ergreifen, ohne Mehraufwand ebenfalls verwendet werden und wenn ich meine Hausaufgaben oder bearbeiteten Klassenarbeiten in der Schule den Lehrkräften per Mail schickte oder auf unser internes Schulnetzwerk kopierte, konnten sie sie ganz entspannt mit Laptoptastatur und Computermaus korrigieren, ohne dass sie je von der Blindenschrift gehört haben mussten. Zudem ist man am Computer viel schneller als an der Schreibmaschine – und so schnell ich die Unterlagen der Lehrer oder der Lehrerin zukommen ließ, so schnell hatte ich im Umkehrschluss die korrigierten Versionen mit der Arbeitsnote. Niemand nimmt mehr seine mechanische Schreibmaschine mit in den Urlaub, um Postkarten zu schreiben, sondern tippt E-Mails oder Whatsapp-Nachrichten ins iPhone, das standardmäßig und damit vollkommen selbstverständlich über eine Sprachausgabe verfügt, und hat in diesem im Vergleich zur Schreibmaschine lächerlichen Gewicht Telefon, Radio, Wecker, Kalender, Navigationssystem, Farb- und Texterkennung, Apps zum Online-Shopping und -banking und den Internetzugang gleich inklusive – und es gibt noch viel mehr Dinge, die mir die Technik ermöglicht: Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig und in öffentlichen Verkehrsmitteln helfen mir dabei, mich zurechtzufinden, Blindenampeln sorgen für sichere Überquerungen von Straßen und Schienen …
Ich kann mir ein Leben ohne Technik nicht vorstellen, auch wenn der technische Fortschritt und die stetige Weiterentwicklung und Optimierung im Umkehrschluss auch dafür sorgt, dass viele Herdplatten oder Waschmaschinen aufgrund ihres Touchscreens und einer fehlenden Sprachausgabe blind nicht oder nur eingeschränkt bedienbar sind und manche Websiten und Apps zwar grafisch wunderschön aussehen, deren Nutzung für blinde Menschen jedoch mit großen Barrieren verbunden sein können. Trotzdem glaube ich, dass Technik für mich noch deutlich wichtiger als für Sehende ist. Ohne Technik könnte ich mein Leben nicht so leben, wie ich es lebe, denn sie ist in vielen Bereichen des Alltags unerlässlich.
Hinweis: Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade „Wie Technik mein Leben verändert“ vom Blog „Anders und doch gleich“ teil, an dem ich selbst mitwirke. Schaut daher auch gerne auf unserer Blogseite www.andersunddochgleich.de vorbei!