Lesen ist der Schlüssel zu Bildung. Gleichzeitig gibt es – auch in Deutschland – viele Menschen, denen das Lesen schwerfällt. Gerade für Kinder ist das Vorlesen daher essenziell, um gute Voraussetzungen für die Freude am Lesen(lernen) und das Sprachverständnis zu schaffen, aber auch die Wissbegierde und das Interesse für verschiedenste Themen zu wecken. Um auf die Wichtigkeit des Vorlesens aufmerksam zu machen, ruft die Stiftung Lesen jedes Jahr zum bundesweiten Vorlesetag auf, an dem sich in ganz Deutschland Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Jugendzentren oder auch prominente Persönlichkeiten mit entsprechenden Vorlese-Aktionen beteiligen.
Eine dieser Aktionen wurde von mir initiiert, und mit dem Kraftnetz Karlsruhe und der Karlsruher Stadtbibliothek konnte ich zwei starke Kooperationspartner gewinnen, Dank derer ich meine Idee in die Tat umsetzen konnte: Zum einen – in unserem Fall mit dem Medienbus (quasi der mobilen Stadtbibliothek) – das Vorlesen kostenlos und ohne große Anfahrtswege in verschiedene Stadtteile Karlsruhes bringen und zum anderen, getreu dem Motto des diesjährigen Vorlesetages „Vorlesen verbindet“, einen Treffpunkt schaffen, an dem zwischenmenschliche Begegnung möglich wird.
Mit den Stadtteilen Weiherfeld, Oberreut und Beiertheim fuhren wir an diesem Nachmittag insgesamt drei „Bushaltestellen“ an. Im Gepäck hatte ich die bekannte Geschichte über den kleinen Tiger und den kleinen Bären „Oh, wie schön ist Panama“ von Janosch.
In Weiherfeld führten wir ein paar nette Gespräche mit Bibliotheks-Kundinnen, zum Vorlesen kam allerdings zunächst niemand. Erst nach einiger Zeit entschied sich eine zufällig vorbeikommende Mutter mit ihren zwei Kindern für einen spontanen Zwischenstopp. Es blieb bei einer exklusiven Privat-Vorleserunde, was einerseits zwar natürlich schade war, da viele Plätze im Bus leer blieben, aber durchaus auch seinen Reiz hatte und für den Einstieg gar nicht schlecht war.
Ziemlich langweilig war es leider in Oberreut, wo ich manchmal kurz vor einem verspäteten Mittagsschläfchen stand, da einfach überhaupt nichts passierte – da wurde eine Stunde auf einmal ganz schön lang, und mein Buch lag auch nur in der Ecke herum.
Es wurde dann aber doch noch richtig voll im Bus, wenigstens einmal. In Beiertheim wurden wir bereits erwartet: „Da kommt der Bus!“, hörten wir aufgeregte Kinderstimmen rufen, oder: „Der Bus ist ja schon da!“ Am Ende hatten wir acht Kinder und sechs Erwachsene zu Gast und damit einen bis auf den letzten Platz besetzten Bus. So ging unser Plan am Ende doch noch auf: Bei mehreren Familien entstanden schnell Gespräche untereinander, und auch an mich wurden viele Fragen zu meinem Leben mit Blindheit sowie zur Blindenschrift herangetragen. Die Kinder fanden es besonders toll, über das Papier zu streichen und die Punkte unter den Fingern leicht kitzeln zu spüren. Die Eltern informierten sich über den Vorlesetag, die Arbeit des Kraftnetzes und den Medienbus.
Nicht ganz leicht für einige Kundinnen und Kunden der mobilen Bibliothek war, dass wir am Vorlesetag wirklich nur zum Vorlesen unterwegs waren, also keine Bücher zurückgegeben oder ausgeliehen werden konnten. An allen Stationen kamen Leute, die ihre Ausleihen zurückgeben wollten. Vielleicht tat dem einen oder der anderen der hauptsächlich älteren Besucher*innen ein kurzes Gespräch gut, dennoch kamen wir nicht umhin, sie am Ende mitsamt ihrer mitgebrachten Medien wieder nach Hause zu schicken. Die Resonanz auf unser Vorlese-Angebot war aber – wenn man bedenkt, dass das Wetter nicht wahnsinnig einladend war und der Medienbus krankheitsbedingt in den Wochen zuvor auch kaum unterwegs war, womit die Werbung im Kontakt mit den Menschen wegfiel – fürs erste Mal in Ordnung. Luft nach oben bleibt, aber bereits aus den diesjährigen Erfahrungen lässt sich das mögliche Potenzial solcher Aktionen erkennen und daran anknüpfen. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn es an den ersten beiden Stationen auch so viel Zulauf gegeben hätte wie in Beiertheim. Es hat mir aber trotzdem unheimlich viel Freude bereitet, das Vorlesen selbst wie auch die neugierigen und direkten Fragen der Kinder.