Kategorie: Leben mit Blindheit

  • Appell an alle E-Roller-Fahrer

    Ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit, als mir plötzlich ein E-Roller den Weg versperrt. Er liegt mitten auf dem Gehweg und nichts ahnend, wie ich bin, falle ich erstmal drüber – daran kann auch mein Blindenstock nichts ändern.

    Ich bin vielleicht 50 Meter weitergelaufen, als plötzlich wie aus dem Nichts ein E-Roller an mir vorbeigeschossen kommt, offensichtlich auf dem Weg aus der sich gerade neben mir befindenden Hofeinfahrt auf die Straße. Zum Glück ist weder mir noch dem Fahrer des E-Rollers etwas passiert, aber zumindest ich habe mich ziemlich erschrocken.

     

    Liebe E-Roller-Fahrer, dass diese E-Roller Euren Alltag oft flexibler und einfacher machen, will ich gar nicht bestreiten. Für blinde Menschen sind E-Roller aber mitunter eine Gefahr. Im Vergleich zu Pollern oder Stühlen der Außengastronomie, die in der Regel am selben Ort bleiben, sind sie fast immer unerwartete Hindernisse. Zudem werden sie oft einfach irgendwo abgestellt/abgelegt, manchmal sogar auf Blindenleitstreifen. Ein weiteres Problem ist, dass E-Roller extrem leise sind. Häufig hört man sie gar nicht, gerade bei vielen anderen Umgebungsgeräuschen, und wenn man sie hört, dann erst sehr spät. Deshalb meine Bitte: Achtet auf Eure Umgebung und nehmt Rücksicht auf Eure Mitmenschen. Ihr helft damit nicht nur Menschen mit einer Sehbehinderung, sondern auch Menschen, die mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen unterwegs sind und nicht so leicht ausweichen können.

     

    Wenn jeder auf den anderen achtet, ist am Ende allen geholfen. Teilt deshalb gerne diesen Beitrag oder weist anderweitig auf die Situation hin. Vielen Dank!

  • Ausbildung inklusiv – So ging es weiter

    Im September 2019 habe ich meine Ausbildung im mittleren Verwaltungsdienst begonnen, Anfang Januar 2020 habe ich über die ersten Monate berichtet. Den ersten Teil zu meiner „Ausbildung inklusiv“ findet Ihr hier

    Heute möchte ich Euch erzählen, wie es weiterging, welche Erfahrungen ich noch machen durfte, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf meine Prüfungsvorbereitung hattte und ob ich die Ausbildung am Ende geschafft habe.

     

    Viele praktische Einblicke

    Wie ich bereits im ersten Teil erzählt habe, wechselte ich während meiner Ausbildung alle paar Wochen innerhalb meiner Ausbildungsbehörde die Abteilung, um möglichst viele Bereiche der Verwaltung praktisch kennenzulernen. Vor den Wechseln hatte ich mal mehr, mal weniger Mobilitätstraining (ein Weg war ziemlich übungsintensiv, einen anderen Weg brachte ich mir nahezu komplett in Eigenregie bei und ein dritter Weg war durch eine Baustelle gefühlt jeden Tag anders, sodass Mobilitätstraining da nur bedingt was brachte). Die Praxisphasen selber waren sehr abwechslungsreich und vielseitig. Ich habe nicht nur wahnsinnig viel gelernt, sondern durfte mich auch an ganz unterschiedlichen Aufgaben versuchen, sei es an der Bearbeitung von Widersprüchen zu verschiedenen Themen oder am Sortieren, Erfassen und Verwalten von Rechnungen. In der Abteilung „Flüchtlingsangelegenheiten“ durfte ich auch bei der Taschengeldausgabe mithelfen und einige Tage im Ankunftszentrum in Heidelberg verbringen.

    Herausfordernd gestaltete sich während meiner Praxisphasen vor allem die Arbeit mit ganz unterschiedlichen Fachprogrammen, wobei von mit Screenreader nicht bedienbar bis vollständig barrierefrei alles vertreten war. Hier mussten immer wieder Probleme gelöst und Alternativen gefunden werden: Ein Programm musste die Assistenz für mich bedienen, weil da mit dem Screenreader, sobald man die Anwendung geöffnet hatte, nichts mehr zu machen war, ein Programm ließ sich über die Braillezeile wunderbar steuern, aber die Sprachausgabe sagte gar nichts an, das nächste Programm war bedienbar, wenn man nur wusste, wie (konkret: die teilweise sehr versteckten Optionen gefunden und alle Dialogfelder und Auswahlschalter (die nicht beschriftet waren) auswendig gelernt hatte) und bei einem weiteren Programm galt es, Möglichkeiten zu finden, um die Zeiteffizienz zu steigern (weil vieles mit dem Screenreader zwar sehr gut nutzbar, aber manchmal hinsichtlich des Programmaufbaus und der Anordnung der einzelnen Elemente ziemlich umständlich gelöst war). Ein weiteres Problem (zumindest für mich) war die Zeit. Im ersten Teil schrieb ich in meinem Fazit nur beiläufig sowas wie „Ich brauche manchmal etwas länger, aber es klappt ja“. Rückblickend betrachtet war das etwas, wo ich meine Blindheit mal wieder sehr deutlich merkte – und damit ein schwieriger, aber auch sehr wichtiger Lernprozess. So sehr mir die Ausbildung dabei half, meine Blindheit wieder als Teil von mir zu sehen und zu erfahren, wie viel ohne Assistenz geht, von dem ich anfangs dachte, das würde nicht gehen, so sehr brachte sie mich beim Thema Zeit an meine Grenzen. Hier bekam ich erstmal so richtig mit, welche Macht eine Computermaus hat oder wie viel Text ein Sehender gleichzeitig erfassen kann. Bestes Beispiel: In einem Praxisabschnitt musste ich anhand von Daten, die in einer Excel-Tabelle erfasst wurden, in zwei Fachprogrammen Datensätze anlegen. Dafür musste ich zunächst den Inhalt der Excel-Tabelle erfassen und vorsortieren, dann alle Eintragungen nacheinander in den Fachprogrammen vornehmen, dabei zwischen den verschiedenen Fenstern hin- und hernavigieren, den Überblick behalten … Wenn man sich die Excel-Tabelle ausdruckt und mit zwei Bildschirmen in beiden Fachprogrammen parallel die Datensätze erstellen kann (und sich durch die Computermaus noch dazu etliche Navigationsschritte spart), dann befinden wir uns zeitlich auf einem vollkommen anderen Niveau. Meine Kollegen haben die Situation immer sofort verstanden (wofür ich sehr dankbar bin), aber für mich war das immer wieder frustrierend und in manchen Momenten habe ich meine Blindheit echt verflucht. Kurzum: Bis ich akzeptiert hatte, dass manches einfach nicht so schnell wie bei den sehenden Kollegen geht, war es ein langer Weg …

     

    Genau im richtigen Moment

    Erinnert Ihr Euch noch an meinen doch recht verzweifelten Hilferuf, als ich im März 2020, eine halbe Woche vor Beginn eines neuen Schulblocks und nach einer assistenztechnisch bereits ziemlich turbulenten Praxisphase, plötzlich komplett ohne Assistenzkraft dastand und nicht wusste, wer mir die anstehenden Klassenarbeiten etc. übertragen würde? Alles sah nach Ungewissheit und Chaos aus – und exakt zum ersten Schultag jenes Schulblocks wurde der erste Corona-Lockdown verhängt und wir hatten Homeschooling. Wie für alle war das auch für mich im ersten Moment eine Nachricht, die viele Fragen aufwarf, letzendlich war es jedoch ein Glücksfall. Alle Klassenarbeiten wurden auf unbestimmte Zeit verschoben (und schlussendlich gar nicht mehr geschrieben) und die „normalen“ Arbeitsblätter waren ja nicht so sensibel, sodass ich diese (ich konnte mir daheim die Zeit recht frei einteilen, da wir hauptsächlich Aufgaben und Infoblätter zum Selbststudium bekamen) mit meinem Vater kurzerhand selbst aufbereitete. Ziemlich ungeschickt war nur, dass wir teilweise Fotos von Buchseiten etc. bekamen, die von der Texterkennung nicht umgesetzt werden konnten, und dass der in unsere Stundenplan-App integrierte, für Blinde nicht bedienbare Messenger auf einmal das zentrale Kommunikationsmedium wurde, weshalb ich manche Informationen deutlich verspätet oder gar nicht erhielt …

     

    Die Vorzüge des Online-Unterrichts

    Beim Prüfungsvorbereitungslehrgang in der Verwaltungsschule, der von Januar bis Juni dieses Jahres stattfand, war dahingehend einiges einfacher und ich konnte die Vorzüge des durchgehenden Online-Unterrichts in vollen Zügen genießen – und das nicht nur deshalb, weil ich wieder eine Assistenzkraft hatte. Während die Dozenten sonst ihre Ausdrucke immer im Unterricht verteilt hatten, schickten sie diese nun an alle per Mail, weshalb wir so gut wie nie im Unterricht nach benötigten, aber fehlenden Unterlagen suchen oder daran erinnern mussten, dass meine Assistenz die Unterlagen rechtzeitig vor dem Unterricht braucht. So fiel meine Blindheit überhaupt nicht auf und es war für viele Dozenten eine ziemliche Überraschung, als sie Ende März (man muss dazu sagen, der Lehrgang begann Mitte Januar…) eine Mail hinsichtlich des Nachteilsausgleichs in den Übungsklausuren erhielten – sowas passiert definitiv nur im Online-Unterricht!

    Auch abgesehen von der wesentlich erleichterten Dateiübertragung hatte der Online-Unterricht seine Vorteile: Als wir zu Beginn der Berufsschule noch Präsenzunterricht hatten, haben mich Arbeitsaufträge oft in Stress gebracht, weil ich in manchen Fächern einfach nicht mit dem Tempo meiner Mitazubis mithalten konnte und ich natürlich gemerkt habe, wie viel schneller sie sind. Alleine daheim hatte ich schon bald ein Gefühl dafür, wie lang ich für welche Aufgabenart brauchte, wusste meist sehr genau, ob es Sinn machte, die Lösung zu einem Sachverhalt auszuschreiben oder vielleicht lieber nur stichpunktartig vorzugehen und die genaue Ausformulierung nach Unterrichtsende zu rekonstruieren und konnte das dann auch zwanglos und ohne Druck genau so umsetzen, wie es für mich am besten war. Und Dank eines festen Stundenplans und einem gut bedienbaren, übersichtlichen Konferenzsystem klappte auch die Kommunikation untereinander diesmal problemlos.

     

    Die Prüfungen

    Es gab insgesamt zehn schriftliche Prüfungen, vier davon Mitte April und die anderen sechs Ende Juni/Anfang Juli. Es wurden verschiedene Fächer geprüft, größtenteils rechtliche Fächer wie z. B. Verwaltungsrecht, Beamtenrecht oder Sozialrecht. Die Absprache hinsichtlich des für diese Prüfungen, die nun wirklich in die Ausbildungs-Abschlussnote zählten, erforderlichen Nachteilsausgleichs war diesmal etwas formeller als in der Berufsschule, und die Prüfungen selbst wurden nicht von der Assistenz, sondern vom Textservice in Ilvesheim aufbereitet und auf verschlüsselten Sticks an die Prüfungsbehörde gegeben. Meinen Laptop habe ich vor den Prüfungen komplett leergeräumt, und neben einem Laptop-Check vor Ort schrieb ich – begleitet von meiner Assistenz und einer Prüfungsaufsicht – alleine in einem Raum, da meine Start- und Endzeiten aufgrund des Nachteilsausgleiches doch sehr stark von den regulären Zeiten abwichen.

    Anstatt der Gesetzessammlung auf Papier verwendete ich eine digitale Fassung speziell für Menschen mit Sehbehinderung. Diese digitale Gesetzessammlung kann man sich ungefähr wie eine Internetseite vorstellen, auf der man in den einzelnen Hierarchieebenen des Inhaltsverzeichnisses oder auch in den Gesetzen selbst blättern oder aber nach Gesetzen, Paragraphen oder Stichworten suchen kann, nur mit dem Unterschied, dass ich dafür keine Internetverbindung brauchte, sondern das entsprechende Tool zu Beginn des Lehrgangs über eine CD direkt auf meinen Laptop installierte. Ein Unterschied zu den sehenden Mitazubis war, dass ich weder farbliche Markierungen noch Unterstreichungen oder Ähnliches vornehmen und auch keine Verweise machen konnte. Jedoch war das am Ende das kleinste Problem, im Gegenteil, meine Verweise und Paragraphen im Kopf zu haben und diese nicht auswendig, aber doch recht gut zu kennen, machte mich von der Assistenz auch hier weitgehend unabhängig, was für mich ja in allen Bereichen der Ausbildung sehr wichtig war.

     

    Und jetzt?

    Jetzt hatte ich gestern noch meine mündliche Prüfung, den letzten Schritt in der Ausbildung, und es freut mich riesig, dass meine Prüfungsergebnisse gut genug waren und ich damit meine Ausbildung erfolgreich abschließen konnte. Es ist unglaublich, wie schnell diese beiden Jahre jetzt vergangen sind! Sie waren extrem wertvoll für mich, manchmal auch herausfordernd, aber oft war es einfach nur erstaunlich zu sehen, wie sich vieles miteinander zu etwas Wunderbarem zusammengefügt hat. Bemerkenswert ist einmal mehr, wie reibungslos alles verlief. Gerade bei einer solchen Ausbildung wirken so viele Parteien mit: Die Mitarbeitenden in den verschiedenen Ausbildungsstellen, die Assistenzkraft, die betreuende Sonderschullehrerin, der Textservice, der KVJS als Kostenträger für Hilfsmittel, Mobitraining etc., die Mobilitätstrainerin, die Mitazubis, die Lehrkräfte an Berufs- und Verwaltungsschule – und ich habe sicher noch viele weitere vergessen. Ich kenne so viele Blinde, die versucht haben/versuchen, einen solchen oder ähnlichen Weg einzuschlagen und die an einer oder gleich mehreren Stellen auf Hürden gestoßen sind. Wie das hier lief, ist ein absoluter Ausnahmefall und ein Vorbild, dass (und vor allem auch wie) eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt auch blind gelingen kann – und ja, das zwischenzeitliche Durcheinander zwecks Assistenzkraft im ersten Lehrjahr war ein Stolperstein, aber im Nachhinein bin ich mir sicher, dass wir das gemeinsam auch noch gemeistert hätten, auch wenn kein Corona gekommen wäre. Vor zwei Jahren hatte ich keine Ahnung, wie es werden würde, und jetzt bin ich einfach nur unendlich dankbar für alles, für alle, die ihren Teil dazu beigetragen haben, für die Offenheit und Hilfsbereitschaft von allen Seiten, für die vielen Erfahrungen, die ich machen durfte – DANKE!

    Und um zuletzt die Frage „Und jetzt?“ zu beantworten: Ich wurde von meiner Ausbildungsbehörde in einen Bereich übernommen, in dem alle Arbeitsabläufe digital abgewickelt werden, in dem das Fachprogramm funktioniert und in dem auch sonst einfach eins zum anderen passt, sodass ich vollkommen selbstständig und gleichberechtigt (naja, da wir die Computermäuse ja nicht unterschätzen dürfen, vielleicht etwas langsamer als die anderen, aber ich werde mich und meine Arbeitsweise weiter reflektieren und überlegen, was sich wo und wie vielleicht noch optimieren lässt) arbeiten kann – ganz selbstverständlich und ohne Assistenz.

  • Abenteuer Braille – Teil 5: Eine kinderleichte Zusammenfassung

    Als Abschluss meiner Artikelserie habe ich Euch einen ganz alten Text mitgebracht, den ich in meiner zweiten Klasse geschrieben habe. Damals habe ich für einen Tag die zweite Klasse einer allgemeinen Grundschule besucht, um den sehenden Kindern meine Blindheit näherzubringen. Damit sich die Kinder schon mal auf den Besuch vorbereiten konnten, habe ich Texte über meinen Alltag in der Blindenschule, das Leben im Internat und über die Blindenschrift geschrieben. Letzteren stelle ich heute hier ein – und mit den Informationen der letzten Wochen könnt Ihr ihn bestimmt verstehen.

     

    Wie blinde Kinder lesen und schreiben

    Hallo ich heiße Kerstin. In dieser Geschichte geht es darum, wie blinde Kinder lesen und schreiben. Meine Schrift sieht ganz anders aus als eure. Eure Schwarzschrift besteht aus Zeichen. Meine Schrift nennt man Punktschrift, Blindenschrift oder   Brailleschrift. Diese Schrift besteht aus Punkten. Die Punktschrift hat der Franzose louis Braille 1825 erfunden.

    In der 1., 2. und 3. Klasse schreibt man mit der Elotype. Die Elotype ist eine elektrische Schreibmaschine. Sie wird teilweise aber auch 8-Punkt-Maschine genannt.

    In der 4. Klasse lernt man die 6-Punktschrift. Ich habe sie mir aber schon in der 1. Klasse selber beigebracht, weil ich unbedingt die Bücher in der Bücherei lesen wollte. Bei dieser Schrift gibt es verschiedene andere Zeichen wie z.B.: au =1, eu =2, ei =3, ch =4, sch =5, ie =0, Großbuchstabenzeichen =$, Zahlenzeichen =#. Es gibt auch eine 6-Punkt-Maschine. Diese ist nicht elektrisch und man verwendet sie auch oft in Mathematik.

    Ab der 3. Klasse werde ich lernen, mit dem Computer zu schreiben. Die älteren Schüler machen alles mit dem Computer und haben mir sogar schon ein paar Sachen beigebracht. Am Computer ist eine Braillezeile, auf der sie schreiben und lesen.

    Und es gibt noch eine 6-Punktschrift mit noch mehr Kürzungen, die lernt man aber leider erst in der 5. Klasse. In der Bücherei gibt es viele Bücher in dieser 6-Punktschrift, aber ich darf sie noch nicht lernen, weil die Bücher noch zu schwierig für mich sind.

    Übrigens: Die Elotype ist auch ein Brailleschrift-Drucker. Wenn man etwas  in Punktschrift auf den Computer schreibt, kann man das in Brailleschrift ausdrucken. Ich habe Elotype, Perkins und Computer. Diese Geschichte habe ich auf dem Computer geschrieben und auf der Elotype ausgedruckt.

  • Abenteuer Braille – Teil 4: Was die Blindenschrift für mich bedeutet

    Manche Blinden finden die Brailleschrift im Hinblick auf all die technischen Möglichkeiten, die wir Blinden heutzutage haben, nutzlos. Ich persönlich bin jedoch froh, sie benutzen zu dürfen und erachte sie auch weiterhin als sehr wichtig. Deshalb habe ich heute ein paar Beispiele gesammelt, in welchen Alltagsbereichen die Brailleschrift für mich von Bedeutung ist.

     

    Beschriften von Dingen

    Es gibt viele Möglichkeiten, um sich Dinge wie Gewürzdosen, CD’s oder Ähnliches zu kennzeichnen. Eine dieser Möglichkeiten ist die Beschriftung in Braille. Ich denke da an meine CD’s, die ich im Internat in der Blindenschule hatte oder an die Gewürzgläser, die in der Schulküche standen. Braille-Beschriftungen sind präzise und z. B. beim Einsatz in der Küche verhindert man dadurch, dass alternative elektronische Hilfsmittel dreckig werden.

     

    Lesen im Beruf und in der Freizeit

    Wenn man am Computer sitzt, ist die Verlockung groß, sich alles mit der Sprachausgabe vorlesen zu lassen – ich gebe es ehrlich zu: Auch ich mache sehr viel über die Sprachausgabe, da es häufig einfach die schnellere Methode ist. Gerade in meinem letzten Praxisabschnitt in der Ausbildung gab es aber manchmal Situationen, in denen die Braillezeile für mich aufgrund der Wiedergabe der Inhalte durch die Sprachausgabe unverzichtbar war, um optimal navigieren zu können und die für mich relevanten Inhalte wirklich zuverlässig zu erfassen. Auch in der Freizeit lese ich gerne, wenn ich dazu komme, vor allem Papierbücher. Die Kurzschrift ist dabei unerlässlich, aber wenn man sie kann, ist jedes Mal wieder ein spannendes Lese-Erlebnis garantiert! Und soll ich Euch noch ein Geheimnis verraten? Wenn ich, als ich noch jünger war, ins Bett sollte, aber doch noch gar nicht müde war, holte ich mir einfach eine schöne Geschichte in Brailleschrift und vergrub sie mitsamt meiner Finger unter meiner Bettdecke – und da ich dafür noch nicht mal Licht brauchte und mit der Zeit sehr geübt darin wurde, die Papierseiten leise umzublättern, wurde ich nur sehr selten dabei erwischt …

     

    Die Blindenschrift unterwegs

    Meine private Braillezeile kann auch ohne den Computer benutzt werden. Dabei werden alle Dateien auf einer SD-Karte gespeichert. Die Braillezeile ist für alle, die Blindenschrift beherrschen, ein hervorragendes Notizgerät für unterwegs. Gerade während der Prüfungsphase vor meinem Realschulabschluss sah man mich quasi täglich mit meiner Braillezeile mal übers Schulgelände laufend, mal auf einer Bank am Neckar sitzend lernen – einfach genial! Manchmal ist es auch praktisch, die Braillezeile per Bluetooth mit dem Handy zu koppeln, was ich besonders gerne mache, wenn ich längere Nachrichten oder E-Mails schreiben möchte. Für manche Taubblinden ist die Braillezeile das wichtigste Kommunikationsmittel.

     

    Blindenschrift im öffentlichen Raum

    Die Blindenschrift gleicht an manchen Stellen auch im öffentlichen Raum Barrieren aus. Das beste Beispiel dafür sind Medikamentenpackungen, die häufig mit Blindenschrift versehen sind. Auch wenn man sich das Treppengeländer an Bahnhöfen mal anschaut, kann man immer wieder Blindenschriftbeschriftungen, die mir Auskunft darüber geben, wohin die entsprechende Treppe führt, finden. Nicht zuletzt gibt es beispielsweise in Heidelberg auf dem Karlsplatz einen großen taktilen Plan der Kernstadt, der ebenfalls mit Blindenschrift versehen ist.

     

    Ich finde die Brailleschrift auch in einer Zeit, in dem die technischen Möglichkeiten einen enormen Aufschwung erleben, extrem wichtig. Es wäre doch furchtbar, wenn blind auch gleichzeitig Analphabet bedeuten würde! Für mich ist es ein Gefühl von Frei- und Unabhängigkeit, wie sehende Menschen lesen und schreiben zu können. Dies unterstreichen auch die Statements blinder Kinder, die der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband anlässlich des Weltbrailletages am 4. Januar veröffentlicht hat:

    https://www.dbsv.org/blindenschrift.html

     

    Für mehr Informationen zur Popularität der Blindenschrift lege ich Euch zudem die ZuBra-Studie ans Herz. ZuBra steht für Zukunft der Brailleschrift und richtete sich an junge Menschen, die mit Blindenschrift arbeiten. Ich habe selbst daran teilgenommen und finde die Ergebnisse durchaus interessant:

    Klicke, um auf 3_14_Hofer_18_10_Sichtweisen.pdf zuzugreifen

  • Abenteuer Braille – Teil 3: Verschiedene Schreibmöglichkeiten

    Wenn Sehende sich etwas aufschreiben möchten, nehmen sie ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand. Doch was, wenn man mit Schwarzschrift nichts anfangen kann? Ich zeige Euch heute verschiedene Möglichkeiten auf, um Brailleschrift zu schreiben.

     

    Die Braillezeile

    Für die Braillezeile lässt sich keine einheitliche Beschreibung geben, da es viele verschiedene Modelle vieler verschiedener Firmen gibt. Eines haben alle Braillezeilen gemeinsam: Sie lassen sich an einen Computer anschließen. Ansonsten weichen die Möglichkeiten aber stark voneinander ab: Mit manchen Geräten kann man nur lesen, das Schreiben muss dann über die Computertastatur erfolgen. Die Geräte, mit denen man schreiben kann, beinhalten zusätzlich zur Zeile selbst eine Computerbraille-Tastatur. Manche solcher Braillezeilen können auch ohne Computer eingesetzt werden, z. B. durch den Einsatz einer SD-Karte, auf der man Bücher oder andere Dokumente abspeichern und neue Dokumente, beispielsweise Notizen, erstellen kann. Über manche Braillezeilen kann man per Bluetooth auch das Handy steuern – die Vielfalt ist dahingegehend also wirklich groß.

    Die Braille Edge ist meine private Braillezeile.

    Die Focus 40 Blue benutze ich beruflich. Sie sieht ganz anders aus als die Braille Edge. Im Gegensatz zur Braille Edge ist sie an einen Laptop angeschlossen.

     

    Die Elotype

    Die Elotype ist eine elektrische Schreibmaschine, die auf das Schreiben von Computerbraille ausgelegt ist. Daneben kann man sie auch mit dem Computer verbinden und als Blindenschriftdrucker benutzen. Zudem gibt es die Möglichkeit, durch das Verstellen des Zeilenabstands und das Anpassen der Seitenränder das Papier ein bisschen zu „formatieren“.

    Elotype mit eingespanntem Papier.

     

    Die Perkins

    Eine Schreibmaschine, in die man, wie auch bei der Elotype, zum Schreiben ein Blatt Papier einspannen kann, ist die Perkins. Die Funktionen der Maschine sind sehr schlicht: Eine Tastatur, mit der nur Voll- oder Kurzschrift geschrieben werden kann, da die Punkte 7 und 8 nicht vorhanden sind, eine Leertaste und zwei Tasten, mit denen man eine Zeile nach unten beziehungsweise zum vorherigen Zeichen navigieren kann. Mit dieser Maschine lässt sich auch dickeres Papier gut mit Blindenschrift versehen und auch Blätter, die nicht dem typischen Din A4-Format entsprechen, lassen sich gut einspannen. Im Unterschied zur Elotype funktioniert die Perkins vollkommen mechanisch. Neben der Perkins gibt es noch weitere Maschinen mit ähnlichem Funktionsumfang.

    Die Perkins mit einem beschriebenen Blatt.

     

    Die Sticheltafel

    Ganz altmodisch, aber dafür sehr handlich ist die Sticheltafel. Diese kann man aufklappen und ein Papier hineinlegen. Häufig gibt es vorgefertigte Blätter, die genau in die Tafel hineinpassen. Die Tafel ist von kleinen Löchern geprägt. Jedes Loch ist für ein Zeichen und besteht aus sechs kleineren Löchern, die den sechs Punkten entsprechen. Mit einem speziellen Stift kann man nun in die Löcher hineinstechen. Dadurch wird das Gestochene durchgedrückt und ist später auf dem Papier fühlbar. Damit man den Text auch lesen kann, muss man spiegelverkehrt von rechts nach links schreiben – das erfordert einiges an Geduld! Wenn man es jedoch kann, ermöglicht einem das Gerät, mal ganz altmodisch eine Postkarte an eine blinde Freundin zu senden, ohne eine unhandliche Schreibmaschine mit sich herumtragen zu müssen.

    Die Sticheltafel mit Griffel.

     

    Sicherlich habe ich das ein oder andere Schreibgerät vergessen – und ja, der Computer ist heutzutage mit Abstand das gängigste diesbezügliche Hilfsmittel. Trotzdem ist es wichtig, auch die anderen Möglichkeiten zu kennen, um selbst entscheiden zu können, mit was man wann arbeiten möchte. Letztens habe ich beispielsweise für eine taktile Straßenkarte mit der Elotype eine Legende erstellt, und die vorgeschnittenen Blätter für die tastbaren Weihnachtsgrußkarten an meine blinden Freundinnen habe ich zum Beschreiben kurzerhand in die Perkins eingespannt.

  • Abenteuer Braille – Teil 2: Verschiedene Schriftformen

    Die Schrift der Sehenden wird zwar von jedem Menschen etwas anders geschrieben, letzendlich handelt es sich aber um immer die gleichen Zahlen, Buchstaben und Sonderzeichen. In der Blindenschrift hingegen gibt es allein im Deutschen gleich vier bzw. eigentlich sogar fünf verschiedene Schriftformen, vier davon basieren auf Louis Brailles 6-Punkte-System und bauen aufeinander auf. Ich bin häufig daran gescheitert, Sehenden erfolgreich zu erklären, warum das so ist, trotzdem möchte ich in diesem Beitrag versuchen, zu erläutern, worin sich diese Schriftgrade unterscheiden und warum man sie überhaupt braucht.

     

    Die Computerbraille

    Man sieht meine Hände auf der Braillezeile, die gerade einen Text lesen.

    Starten wir gleich mit dem von den ursprünglichen sechs Punkten abweichenden Sonderfall: Als „Computerbraille“ bezeichnet man die Schrift, die man in der Regel liest, wenn man am Computer arbeitet. Damit ist sie die Schriftform, die im digitalen Zeitalter wohl am häufigsten vorkommt. Bei der Computerbraille wird, wie bei der Schwarzschrift auch, jedes Zeichen und jeder Buchstabe ausgeschrieben. Gleichzeitig ist die Computerbraille das neueste Schriftsystem. Da sich nämlich im Laufe der Zeit herausstellte, dass 64 mögliche Zeichenkombinationen nicht immer ausreichend sind, hat man die Computerbraille kurzerhand um die Punkte 7 und 8 erweitert. So ist es auch leichter, Groß- und Kleinschreibung darzustellen: Ein Buchstabe ohne Punkt 7 ist kleingeschrieben, ein Buchstabe mit Punkt 7 ist großgeschrieben. Wenn man eine Braillezeile besitzt (mehr zur Braillezeile gibt’s im Teil „Verschiedene Schreibmöglichkeiten“), schreibt man in der Regel auch Computerbraille darauf.

     

    Die Basisschrift

    Die Basisschrift ist die ursprünglichste Form der Brailleschrift. Im Prinzip kann man sie als Computerbraille ohne Punkte 7 und 8 bezeichnen. Auch hier werden alle Zeichen geschrieben, nur werden alle Wörter kleingeschrieben, da es keinen Punkt 7 gibt. Die reine Basisschrift wird im Alltag so gut wie nie verwendet, aber letzendlich lernen sie alle, die Brailleschrift lernen, als erstes, um darauf basierend die Besonderheiten der anderen Braille-Varianten zu erarbeiten. Die nun folgenden drei Unterscheidungen basieren alle auf der Basisschrift und haben alle das Ziel, diese zu verkürzen.

     

    Die Vollschrift

    Man sieht wieder meine Hände, diesmal lese ich aber in einer Papierzeitschrift.

    Die Vollschrift ist in puncto Kürzungsgrad die erste Abstufung. Im Vergleich zur Basisschrift werden hier manche Laute wie „sch“, „ei“ oder „au“ zu einem Zeichen zusammengezogen, wodurch der Text weniger Platz einnimmt. Da für diese Zeichen die Zeichen verwendet werden, mit denen man in der Computerbraille Zahlen darstellt, werden die Zahlen in Vollschrift als #a, #b, #c usw. dargestellt, also mit einem Nummernzeichen und dem entsprechenden Buchstaben des Alphabets. Auch Großbuchstaben werden mit einem speziellen Zeichen gekennzeichnet, wobei in professionell gedruckten Büchern häufig weiterhin einfach alles kleingeschrieben wird. Dass die Computerbraille-Zahlen in der Vollschrift etwas komplett anderes darstellen, ist für Sehende häufig nur schwer nachvollziehbar. Mir ist jedoch in der Regel schnell klar, welches Schriftsystem ich vorliegen habe.

     

    Die Kurzschrift

    Ihr seht das Buch "Das Wunder auf vier Pfoten" von Julia Rompp in Schwarz- und Brailleschrift. Die Brailleschriftausgabe, in Kurzschrift gedruckt, umfasst drei große Ordner mit insgesamt 494 Seiten. Die Schwarzschriftausgabe besteht aus einem Taschenbuch mit 316 Seiten.

    Die Kurzschrift ist die Steigerung der Vollschrift. Hier werden die Kürzungszeichen der Vollschrift beibehalten, es kommen aber noch viel, viel mehr Kürzungen dazu (ich habe damals 256 Kürzungen gelernt, wie viele es seit der Kurzschriftreform 2017 sind, weiß ich nicht). So gibt es neben Zeichen für „au“, „ei“ und „sch“ nun auch Zeichen für „en“, „al“ oder auch Doppelkonsonanten wie „ll“ oder „mm“. Zudem gibt es ein- und zweiformige Kürzungen, das bedeutet, dass ein oder zwei Zeichen ein ganzes Wort darstellen (das Zeichen „-“ steht z. B. für das Wort „im“, die Buchstaben „jr“ stehen für Jahr o. Ä.). Es gibt auch Zeichen für bestimmte Vorsilben wie „auf“ oder „vor“ oder Nachsilben wie „nis“ oder „schaft“.

    Die Kurzschrift ist vor allem im Hinblick auf Papierbücher in Brailleschrift wichtig. Da die Punkte viel mehr Platz als die Schwarzschrift in Anspruch nehmen (sie haben immer eine Größe von 6 bis 7 mm, denn man muss sie ja gut ertasten können) und auf deutlich dickeres Papier gedruckt werden müssen, bekommt man nicht selten ein riesiges Paket mit etlichen Ordnern, wenn man ein Buch ausleiht oder kauft. Ein Text in Vollschrift kann durch den Einsatz der Kurzschrift um weitere 30 bis 40 Prozent verkürzt werden – kein Wunder, dass etwa 80 Prozent aller Bücher in Kurzschrift gedruckt werden..

    Während meiner fünften und sechsten Klasse musste ich die Kurzschrift noch verpflichtend lernen. Viele meiner Mitschüler haben das damals schon nicht ernstgenommen, weil es doch digitale Bücher für die Braillezeile gibt und die doch um Welten praktischer sind als die absolut reiseuntauglichen Papierbücher. Inzwischen ist das Erlernen der Kurzschrift zumindest an der Blindenschule, die ich besucht habe, nach meinem Kenntnisstand nicht mehr verpflichtend. Doch für alle Jugendlichen und Erwachsenen, die Papierbücher lesen möchten, ist die Kurzschrift ein Muss, da es ab einer bestimmten Altersstufe (meist ab etwa zwölf Jahren) keine Papierliteratur mehr in Vollschrift gibt. Aber achtung: Wer sagt, lesen fördert die Rechtschreibung, hat zumindest bei der Kurzschrift unrecht, denn bei so vielen Kürzungen bleibt von der eigentlichen Schreibweise des Wortes nicht mehr viel übrig.

     

    Blindenstenografie

    Früher dachte ich immer, die Kurzschrift sei unsere Steno, doch dem ist nicht so. Tatsächlich gibt es ein noch kürzeres (und noch wesentlich komplexeres) System, das sogar ganze Sätze und Redewendungen mit speziellen Kürzungen darstellt. Ich persönlich kenne niemanden, der diese Schrift beherrscht, aber sie soll es ermöglichen, gesprochenes Wort in Echtzeit mitzuschreiben – wahrscheinlich wie die Stenografie für Sehende auch. Um Steno zu schreiben, braucht man eine spezielle Technik, den sogenannten „Streifenschreiber“, wobei ich Euch nicht erklären kann, wie dieser aussieht oder wie er funktioniert, und manchmal wird für die Steno auch ein 7- bzw. 8-Punkt-System benutzt.

     

    Direkter Schriftvergleich

    Zuletzt noch ein Beispielsatz, damit Ihr den Unterschied zwischen Computerbraille, Vollschrift und Kurzschrift noch besser versteht.

    Computerbraille: So schreibe ich Blindenschrift im Jahr 2021.

    Vollschrift (mit Großschreibzeichen): $so 5r3be i4 $blinden5rift im $jahr #bjba.

    Kurzschrift (ohne Großschreibzeichen): p 5be # bl*dc5t – jr #bjba.

  • Abenteuer Braille – Teil 1: Grundlagen

    Die allermeisten haben sicher schon mal von der Blindenschrift, auch Punktschrift oder Brailleschrift genannt, gehört – doch was hat es damit auf sich? Im ersten Teil der Serie „Abenteuer Braille“ erzähle ich von der Entstehung und Systematik der Brailleschrift.

     

    Der Name „Brailleschrift“ ist auf den blinden Franzosen Louis Braille zurückzuführen. Er wurde am 4. Januar 1809 in Coupvray, einem Ort nahe Paris, geboren. Als kleiner Junge hielt er sich gerne bei seinem Vater in der Sattlerwerkstatt auf. Es faszinierte ihn, wie sein Vater arbeitete, und er hatte großes Interesse an den verschiedenen Outensilien, die man dort finden konnte.

     

    Als er als Dreijähriger wieder einmal dort spielte, verletzte er sich mit einer Ahle am Auge. Die Folge war die vollständige Erblindung des Jungen. Nachdem er zunächst die Schule in seinem Heimatort besuchte, kam er ans Institut National des Jeunes Aveugles, die Blindenschule in Paris. Hier erlernte Louis, zu lesen und zu schreiben – doch es gab ein Problem: Die Schrift, die es damals für Blinde gab, war sehr unpraktisch und das Lesen und Schreiben gestaltete sich sehr mühsam.

     

    Eines Tages hörte Louis von einer Schrift, die für Soldaten entwickelt wurde, damit diese sich auch im Dunkeln verständigen konnten. Die Schrift bestand aus zwölf Punkten und jede Punktkombination war einem Zeichen zugeordnet. Louis war beeindruckt von der Idee und beschloss, dieses Konzept weiterzuentwickeln. Seine Schrift bestand ebenfalls aus Punkten, aber nur aus sechs Punkten, um das Schriftsystem einfach zu halten. Diese sechs Punkte ordnete Louis in zwei Reihen nebeneinander und drei Reihen untereinander an, wie die Augen eines Würfels. Die linken drei Punkte nummerierte er von oben nach unten mit 1, 2 und 3, die rechten drei Punkte mit 4, 5 und 6. Die oberen zwei Punkte waren also die Punkte 1 und 4, die mittlere Reihe beinhaltete die Punkte 2 und 5 und unten fand man die Punkte 3 und 6. Aus sich daraus ergebenden 64 möglichen Punktkombinationen (nur Punkt 1; Punkte 4, 5 und 6; Punkte 1 und 6, Punkte 1, 3, 5 und 6 usw) ließen sich alle Buchstaben und Zahlen sowie einige Sonderzeichen bilden. Dadurch, dass jede Punktkombination einem bestimmten Zeichen zugeordnet war, konnte diese Schrift sehr schnell gelesen und geschrieben werden.

     

    1825, also im Alter von 16 Jahren, war Louis‘ Schriftsystem fertig. Er präsentierte seine Schrift in seiner Schule in Paris. Hier lehnte man sie ab, auch dann noch, als er später selbst als Lehrer dort unterrichtete. Den Durchbruch seiner Schrift erlebte Louis nicht mehr mit, in Paris wurde sie erst nach seinem Tod anerkannt. Heute jedoch ist die Brailleschrift die Schrift für Blinde – auf der ganzen Welt.

  • Vom Blatt Papier auf die Braillezeile – scannen mit der Pearl Kamera und Openbook

    Immer wieder werde ich als Blinde mit Papieren in Schwarzschrift vor eine Herausforderung gestellt. Um mir diese zugänglich zu machen, nutze ich verschiedene Methoden. Meine „Arbeitsplatzmethode“, das Abfotografieren von Blättern mit Hilfe der Pearl Kamera, stelle ich Euch heute vor.

     

    Die Kamera selbst

    Die Pearl Kamera ist ein portables und kompaktes Kamerasystem, das sich in meinem Fall vor allem jetzt während der Ausbildung mit den vielen Wechseln der Abteilungen auszahlt. Zusammengeklappt passt die Kamera in jeden Rucksack und am neuen Ort angekommen, ist sie mit drei Handgriffen wieder aufgebaut. Es handelt sich dabei um eine Standkamera, unter die das Blatt gelegt werden kann. Dabei ist die „Anlegekante“ speziell für Blinde optimiert und dort, wo sich die Mitte des Blattes befinden sollte, mit einer Markierung versehen. Damit die Pearl Kamera funktioniert, benötigt sie ein Endgerät, üblicherweise einen Laptop, von dem aus die gesamte Steuerung inklusive aller Einstellungen sowie die Ausgabe des abfotografierten Textes stattfindet. Das dafür erforderliche USB-Kabel ist fest mit der Kamera verbunden, sodass man zumindest dieses Kabel nicht vergessen kann.

     

    Openbook

    Es gibt verschiedene Texterkennungs-Programme, die mit der Pearl Kamera kooperieren. Ich persönlich verwende „Openbook“. Das speziell für blinde Anwender entwickelte Programm stammt von der gleichen Firma wie die Kamera selbst, weshalb die beiden Komponenten sehr gut miteinander harmonieren. Über Openbook verwalte ich die Kameraeinstellungen, starte und koordiniere den Scanvorgang und bekomme den abfotografierten Text angezeigt, sodass ich ihn lesen oder in andere Programme, z. B. in Microsoft Word, kopieren kann. Zudem kann ich auch bereits digital vorhandene Dokumente, beispielsweise Fotos, in Openbook konvertieren und dadurch möglicherweise besser lesen. Openbook wertet den Text aus und wandelt ihn entsprechend um.

     

    Kurzablauf eines Scanvorgangs

    1. Wenn nicht schon passiert, baue ich die Kamera auf, verbinde sie per USB-Kabel mit dem Laptop und verschaffe mir daneben Platz, um ein Blatt glatt auf dem Tisch ablegen zu können.
    2. Das Blatt, das ich scannen möchte, lege ich mit der kurzen Seite an der Anlegeschiene der Kamera an (siehe Foto). Der Markierungspunkt auf der Schiene hilft mir dabei.
    3. Anschließend starte ich Openbook, das meine Kamera idealerweise schon erkannt hat, auf meinem Laptop. Über den Laptop starte ich nun den Scanvorgang. Nach wenigen Sekunden macht die Kamera ein Foto des darunter liegenden Blattes, welches von Openbook erkannt und aufbereitet wird. Wenige weitere Sekunden später erscheint der Text, der auf dem Blatt steht, auf dem Laptopbildschirm.

     

    Meine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Blinde

    Als ich kürzlich im Internet etwas nachschauen wollte, stellte ich fest, dass es kaum Informationen zur Pearl Kamera auf deutsch gibt, lediglich die englische Original-Bedienungsanleitung und einen Erfahrungsbericht eines anderen blinden Bloggers konnte ich finden. Deshalb habe ich eine Schritt-für-Schritt-Anleitung geschrieben, die insbesondere auf die Grundlagen Kameraauf- und -abbau sowie das Einscannen einzelner Blätter mit Openbook eingeht. Sie dient daher insbesondere blinden Menschen sowie deren sehendem Umfeld als Orientierungshilfe, aber auch allen anderen Interessierten, die mehr über diese Möglichkeit der Texterkennung erfahren möchten. Die Anleitung findet Ihr hier:

    https://cap4free.de/2020/06/14/texte-auf-papier-mit-pearl-kamera-und-openbook-einscannen-eine-schritt-fuer-schritt-anleitung/

     

    Man sieht die Pearl in ihrer Tasche

     

    Zusammengeklappte Pearl ohne Tasche

     

    Die Pearl ist jetzt fertig aufgebaut. Das Kabel steckt im USB-Port eines Laptops

     

    Unter die Pearl wurde ein Blatt gelegt. Die kurze Seite des Blattes liegt glatt an der Schiene der Pearl an. Auf dem Blatt sind die Wörter Test und Pearl zu lesen

     

    Startbildschirm von Openbook - das leere Dokument, in dem später der erkannte Text angezeigt wird, und das Hauptmenü

     

    Screenshot des Laptopbildschirms nach dem Scanvorgang. Auch hier werden jetzt die Wörter Test und Pearl angezeigt

     

  • Ausbildung inklusiv – die ersten Monate

    Wie Ihr spätestens durch meinen Aufruf bezüglich der benötigten Arbeitsassistenz mitbekommen habt, habe ich im September meine Ausbildung zur Verwaltungswirtin begonnen. Nun möchte ich mal ein kleines Resumé der ersten Monate ziehen und Euch erzählen, wie eine Ausbildung als einzige Blinde unter Sehenden so funktioniert.

    Vorab: Vielen Dank, dass Ihr mein Gesuch so fleißig geteilt habt! Es hat sich tatsächlich eine junge Interessierte gemeldet, die in meiner dritten Ausbildungswoche ihr Freiwilliges Soziales Jahr bei mir begann und mich seither großartig unterstützt!

    Alles neu
    Als ich meinen ersten Arbeitstag hatte, war ich ziemlich aufgeregt. Immerhin war es für mich eine komplett neue Erfahrung, in eine Gruppe Sehende integriert zu werden und gleichberechtigt eine ganz gewöhnliche Ausbildung zu absolvieren, nachdem ich bislang durchgehend eine Blindenschule besucht hatte. Dort war das Arbeitstempo deutlich niedriger und alle Unterlagen wurden uns sofort barrierefrei zur Verfügung gestellt, wir hatten einen Computerarbeitsplatz im Klassenzimmer und unsere kleine Klasse von zehn Leuten ermöglichte ein sehr individuell abgestimmtes Lernen. Aus Erzählungen wusste ich, dass in der Inklusion dahingehend einiges auf mich zukommen würde und dem entsprechend stellte ich mir diverse Fragen: Kann ich die gestellten Aufgaben wirklich in gleicher Qualität wie die Sehenden ausführen? Wird es mir gelingen, die Anforderungen zu erfüllen? Werde ich die Ausbildung schaffen oder habe ich mir vielleicht doch zu viel vorgenommen?

    Ganz viele Anträge
    Dem Ausbildungsbeginn waren diverse organisatorische Dinge vorausgegangen. Hilfsmittel mussten beantragt werden, zudem benötigte ich die Assistenz, die auch gesucht werden musste, und Mobilitätsunterricht, um die Ausbildungswege zu lernen. Für all das brauchte ich eine Kostenzusage eines Kostenträgers (in meinem Fall des Kommunalverbands für Jugend und Soziales), um nicht selbst zahlen zu müssen. Dass ich zum ersten Mal solche Anträge stellen musste und die Abläufe noch nicht kannte, sorgte immer wieder für Verunsicherung. Wie gut, dass ich durch mein FSJ als „Brücke“ zwischen Schule und Ausbildung keinen Lerndruck und viel Zeit hatte! Nicht zuletzt wurde ich bei jedem Arbeitsschritt unterstützt und alle Beteiligten waren sehr kooperativ. Hingegen zahlreicher Erfahrungen anderer Blinder, die in diesem Prozess teilweise großen Hürden gegenüberstanden, gestaltete sich das bei mir alles sehr schnell und problemlos.

    Hilfsmittel und ihre Grenzen
    Zu meiner Hilfsmittelausstattung gehören ein Laptop, eine Braillezeile und die „Pearl“ (eine Kamera zur Texterkennung) sowie diverse Programme wie das Texterkennungsprogramm „Openbook“, das mit der Kamera kooperiert, und natürlich meine Bildschirmausleseprogramme „Jaws“ und „NVDA“. Diese Ausstattung ermöglicht es mir, weitgehend selbstständig zu arbeiten. Im ersten Praxisblock setzte ich mich viel mit den Gesetzen, die für die Tätigkeiten der entsprechenden Abteilung erforderlich sind, auseinander und löste Fallbeispiele dazu. Zudem schrieb ich Merkblätter zu verschiedenen Themen, Artikel für die hausinterne Zeitung und zahlreiche E-Mails. Im zweiten Praxisblock kümmerte ich mich um die Aktualität einiger Excel-Tabellen und führte manche Verwaltungsgänge nahezu eigenständig unter Einhaltung der entsprechenden Gesetze und Formalitätsregeln aus. Schwierig wurde es manchmal dann, wenn es digitale Vordrucke auszufüllen galt. An sich sind solche Vorlagen super, weil Adressat, Absender o.Ä. schon an den richtigen Stellen stehen, wenn man richtig einträgt und man nichts mehr optisch anpassen muss. Allerdings können solche Formulare auch ganz schön herausfordernd sein, beispielsweise dann, wenn Auswahlfelder nur mit der Maus anklickbar sind oder manche Dinge von der Sprachausgabe nicht zuverlässig vorgelesen werden. Das Paradebeispiel war ein Formular, bei dem manche Eingabefelder vom Screenreader noch nicht einmal erkannt wurden und – navigierte mich die Assistenz dann hinein – dieser nicht nur sich selbst, sondern auch das ganze Microsoft Word zum Absturz brachte – zum Glück blieben solche Extremfälle bislang die Ausnahme.

    Die Position der Assistenz
    Wenn mir Papierdokumente vorgelegt werden, kann hier häufig die „Pearl“ in Kooperation mit „Openbook“ Abhilfe schaffen. Habe ich das entsprechende Blatt unter der Kamera platziert, wird es auch schon abfotografiert und wenige Sekunden später wird mir das Ergebnis auf dem Computer angezeigt. Auf diese Weise schaffte ich es, Unterlagen auch dann richtig zu sortieren, als die Assistenz mal nicht da war. Allerdings: Die Kamera erkennt zwar sehr gut, aber Handschrift mag sie überhaupt nicht – und Post verteilen ohne Assistenz, wo man dann jedes einzelne Blatt einscannen muss, ist echt mühsam …
    Noch wichtiger ist die Assistenz in der Berufsschule: Hier überträgt sie mir die Unterrichtsmaterialien. Dafür schicken die Lehrer/innen ihr die Arbeitsblätter für den kommenden Unterricht per Mail zu und sie bereitet die Dateien barrierefrei auf, entfernt Bilder und ersetzt sie durch Bildbeschreibungen, beseitigt für mich störende Formatierungen und gestaltet Tabellen so um, dass sie für mich gut lesbar sind. Damit sie das sowohl während des Unterrichts als auch daheim machen kann, hat sie einen Dienstlaptop. Insbesondere in puncto Dateiübertragung bin ich auf eine gute Zusammenarbeit und Zuverlässigkeit seitens der Lehrer/innen und der Assistenz angewiesen. Manche Lehrer/innen schicken ihre Unterlagen erst sehr spät am Vorabend, sodass die Assistenz sie nicht mehr rechtzeitig aufbereiten kann. Ein Lehrer legte ihr sogar einmal ein Arbeitsblatt als Ausdruck vor und meinte: „So, das bearbeiten wir jetzt.“ … Zum Glück waren die Lehrkräfte bislang immer sehr offen, wenn ich besagte Probleme thematisierte. Umso mehr zeigt sich: Ohne aufgeschlossene Lehrer/innen geht es nicht. Zudem muss die Assistenz absolut verschwiegen sein, da sie auch Klassenarbeiten aufbereitet. Da kommen dann von Klassenkameraden dann auch mal Fragen wie: „Was kommt denn dran?“ oder „Können wir mal reinschauen?“

    Sonderpädagogischer Dienst und Nachteilsausgleich
    Neben der Arbeitsassistenz unterstützt mich eine Lehrerin aus dem Sonderpädagogischen Dienst. Sie half mir beispielsweise dabei, die Assistenz einzulernen. Positiv in meinem Fall war daran, dass meine Ausbildung mit einem Praxisblock begann, sodass wir viel Zeit für eine stressfreie Einarbeitung hatten. Die Lehrerin nahm auch an einer Lehrerkonferenz meiner Berufsschule teil, um meine Lehrer/innen über den Umgang mit mir aufzuklären, beispielsweise im Hinblick auf den Nachteilsausgleich, und Fragen zu beantworten. Wir stehen in regelmäßigm Kontakt und sie kommt immer wieder vorbei, um im Unterricht zu hospitieren, sich mit mir oder den Lehrer/innen auszutauschen oder bei aufkommenden Fragen und Problemen zu unterstützen.
    Apropos Nachteilsausgleich: Auch das ist in meiner Ausbildung besonders. Aufgrund meiner Blindheit bekomme ich einen Nachteilsausgleich, welcher sich in meinem Fall durch Zeitverlängerungen zur Bearbeitung von Klassenarbeiten auswirkt. Wie viel zusätzliche Zeit ich bekomme, variiert von Unterrichtsfach zu Unterrichtsfach. Wenn es nur Fragen gibt, die ich schriftlich beantworten muss und für die ich neben dem Dokument mit dem Aufgabentext nichts weiter brauche, schaffe ich eine Arbeit manchmal sogar in Regelzeit, aber gerade, wenn es um Tabellen geht, brauche ich wesentlich länger als Sehende, denn durch meine Blindheit kann ich nicht querlesen und brauche daher mehr Zeit, um mir einen Überblick zu verschaffen. So habe ich in tabellenlastigen Fächern wie z. B. Rechnungswesen 75 Prozent mehr Zeit, während ich in Deutsch „nur“ 30 Prozent Verlängerung bekomme. In jedem Fall ist es wichtig, dass der Nachteilsausgleich individuell auf mich abgestimmt ist, damit ich keine Nachteile, aber auch keine Vorteile gegenüber den Sehenden habe. Ich habe deshalb auch vorab einige Aufgaben in verschiedenen Fächern mit Zeitmessung bearbeitet und meine Bearbeitungszeiten mit denen der sehenden Mitazubis verglichen. Ergänzend dazu nahm ich an einem Kurs für Blinde teil, in dem wir lernten, wie man effektiver mit seinen Hilfsmitteln umgehen und durch neue und bessere Arbeitstechniken produktiver und schneller agieren kann.

    Klassengröße und Mehrarbeit
    Auch an die Klassengröße musste ich mich gewöhnen. Zwar sind wir mit 18 Auszubildenden noch eine recht kleine Klasse, trotzdem ist das Umfeld nicht so familiär und individuell wie in der Blindenschule. Man trägt viel mehr Verantwortung und während ich insbesondere in den niedrigeren Klassen oft unterfordert war, arbeite ich hier auch mal zwei oder drei Stunden die Inhalte des Tages nach, wenn Unterlagen im Unterricht nicht entsprechend angepasst vorhanden sind und/oder ich mit dem Arbeitstempo nicht mithalten kann.

    Mobilitätstraining
    Und dann gibt es noch das Mobilitätstraining. Hier lerne ich mit einer speziell ausgebildeten Mobilitätstrainerin alle Wege, die ich während meiner Ausbildung benötige. Da ich die Praxisphasen in verschiedenen Abteilungen absolviere und diese sich teilweise in verschiedenen, über die ganze Stadt verteilten Gebäuden befinden, findet das Mobilitätstraining immer vor dem Wechsel in die jeweilige Abteilung statt (die Berufsschule bleibt ja übers ganze erste Lehrjahr hinweg gleich, da habe ich den Weg ganz am Anfang gelernt und kann ihn jetzt in jedem Schulblock anwenden). Die Mobilitätstrainerin schaut sich teils allein, teils mit mir gemeinsam die Gegebenheiten an und wir beurteilen zusammen, welcher Weg für mich am sichersten und gleichzeitig am günstigsten ist. Die Orientierung erfolgt mittels sogenannter „Leitlinien“, z. B. einer Wiese, einer Hauswand oder eines Blindenleitsystems, und „Orientierungspunkten“ wie z. B. einem Laternenpfosten oder – wie bei meinem Schulweg – einem Stromverteilerkasten, einem Baum und einem Mülleimer. Zudem kann ich mich auch akustisch orientieren, z. B. über das Hören auf den Verkehr einer Straße oder dem Erkennen des Unterschieds zwischen Hauswänden, Einfahrten, geparkten Autos etc. Die Mobilitätstrainerin weist mich außerdem auf Hindernisse hin, denen ich auf dem Weg begegnen könnte z. B. einem Schild in Kopfhöhe oder geparkte Fahrräder am Straßenrand, sodass ich mich an diesen Stellen entsprechend achtsam bewege. Dank dieses Trainings kann ich selbstständig zu den Ausbildungsstätten und wieder zurück fahren und kenne mich durch das integrierte Gebäudetraining auch vor Ort grundlegend aus, wodurch ich weitgehend unabhängig von sehender Unterstützung bin.

    Fazit
    Meine inklusive Ausbildung ist nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund meiner Blindheit eine ganz neue Erfahrung für mich, sehr vielseitig und manchmal auch herausfordernd. Bislang läuft es aber echt gut und ich bin froh, mich darauf eingelassen zu haben, denn jede blinde Person, die mal auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten möchte, muss irgendwann den Sprung in die Welt der Sehenden schaffen und das ist eine Umstellung, die gelernt sein will, wenn man bislang durchgehend in einer auf Blinde spezialisierten Einrichtung war. Aktuell kann ich sagen, dass ich mir den richtigen Moment und den richtigen Arbeitgeber ausgesucht habe. Ohne die Offenheit und Hilfsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den jeweiligen Abteilungen, der anderen Azubis, der Lehrerinnen und Lehrer und nicht zuletzt der Ausbildungsbeauftragten würde die Situation vermutlich ganz anders sein. Wenn irgendwas nicht gleich funktioniert oder nicht barrierefrei ist, suchen wir gemeinsam nach Lösungen und wenn ich etwas nicht gleich hinbekomme, war das bislang nie ein Problem. Bei den Anträgen, die bezüglich meiner Hilfsmittelausstattung, der Assistenz und dem Mobilitätstraining zu stellen waren, hat alles perfekt ineinandergegriffen und ich wurde von allen Seiten super unterstützt. Auch sind viele an meiner Blindheit sehr interessiert und nutzen die Chance, um Fragen zu stellen. Gleichzeitig werde ich nicht wie eine Behinderte behandelt, sondern wie alle anderen Auszubildenden auch – und diese Gleichberechtigung gibt mir das Gefühl, dazuzugehören. Ist ja auch so, denn ich kann – bis auf ganz wenige Ausnahmen – die gleichen Arbeiten wie meine sehenden Mitazubis ausführen – vielleicht etwas langsamer, mit Hilfe meiner Assistenz oder mit Hilfsmitteln, aber es geht. Meine Kollegen und Kolleginnen geben mir die Zeit, die ich brauche und bewerten meine Leistungen dennoch wie die Leistungen aller anderen. Bislang ist es total interessant und abwechslungsreich und die Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Kurzum: Gerade, wenn man nur die Blindenschule kennt und dannn in die Inklusion kommt, stürzt man sich erstmal ins Abenteuer. Doch zumindest in meinem Fall läuft es super – und für alle Blinden, die überlegen, ebenfalls eine Ausbildung im Verwaltungsbereich zu machen: Das ist absolut möglich!

     

  • Wie Technik mein Leben beeinflusst

    Ich gebe zu, bei meinem jungen Alter bin ich nie ohne Technik aufgewachsen. Und gewiss kennt jede und jeder Momente, in denen man die Technik verflucht oder man auf Berichte über Fernsehsucht, Stromausfälle oder den Datenschutz stößt – doch die Technik bringt gerade für mich als Blinde große Vorteile mit sich.

     

    Ich erinnere mich noch gut an meine Kurzschriftlehrerin. Kurzschrift ist eine stark verkürzte Form der Blindenschrift (in einem anderen Beitrag gehe ich darauf nochmal konkret ein). Jedenfalls war die Kurzschriftlehrerin selbst blind – ein großer Vorteil, denn so war die Schrift ein ganz normaler Bestandteil ihres Alltags. Die Klassenarbeiten und Tests schrieben wir immer an einer mechanischen Schreibmaschine. Die Aufgabenstellungen waren auf einem separaten Papier, welches ebenfalls auf der Schreibmaschine geschrieben wurde. Ich persönlich schrieb eigentlich sehr gerne damit, jedoch konnte man Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler nur sehr schwer bis gar nicht korrigieren. Einige Tage nach dem Schreiben der Arbeit bekamen wir den Aufschrieb wieder zurück – mit Kommentaren und Punkten, die die Fehler kennzeichneten, zwischen den Wörtern. Da ich selbst einmal eine Kurzschriftschülerin hatte, weiß ich, was für ein enormer Zeit- und Kraftaufwand dahinter steckt: Man muss jedes einzelne Blatt in die Schreibmaschine einspannen und den Schreibkopf exakt an der Stelle, an der man schreiben möchte, positionieren, was eine enorme Feinfühligkeit, Genauigkeit und Konzentration voraussetzt. Die Vorstellung, dass solche Umstände noch vor wenigen Jahrzehnten vollkommen alltäglich waren, ist für mich nur schwer greifbar und fast erschreckend. Was für eine enorme Arbeitsleistung mussten insbesondere die Pädagogen und Pädagoginnen damals erbringen! Da stellt sich wirklich die Frage: War die schulische Bildung für Blinde damals eingeschränkter oder mussten die Lehrkräfte mehr investieren? Ganz davon abgesehen: Wer die Blindenschrift nicht fließend lesen und schreiben konnte, war in der Blindenschule wohl zu 100 Prozent fehl am Platz …

     

    Und heute? Heute sieht das alles ganz anders aus. Heute gibt es mit den Braillezeilen Geräte, die mittels Computersoftware den Inhalt des Computerbildschirms in Blindenschrift anzeigen können, und zusätzlich kann man sich den Text über eine Sprachausgabe vorlesen lassen. Nicht ohne Grund werden alle Lehrbücher für meine bevorstehende Ausbildung digitalisiert: Sie können von anderen Blinden, die ebenfalls diesen Beruf ergreifen, ohne Mehraufwand ebenfalls verwendet werden und wenn ich meine Hausaufgaben oder bearbeiteten Klassenarbeiten in der Schule den Lehrkräften per Mail schickte oder auf unser internes Schulnetzwerk kopierte, konnten sie sie ganz entspannt mit Laptoptastatur und Computermaus korrigieren, ohne dass sie je von der Blindenschrift gehört haben mussten. Zudem ist man am Computer viel schneller als an der Schreibmaschine – und so schnell ich die Unterlagen der Lehrer oder der Lehrerin zukommen ließ, so schnell hatte ich im Umkehrschluss die korrigierten Versionen mit der Arbeitsnote. Niemand nimmt mehr seine mechanische Schreibmaschine mit in den Urlaub, um Postkarten zu schreiben, sondern tippt E-Mails oder Whatsapp-Nachrichten ins iPhone, das standardmäßig und damit vollkommen selbstverständlich über eine Sprachausgabe verfügt, und hat in diesem im Vergleich zur Schreibmaschine lächerlichen Gewicht Telefon, Radio, Wecker, Kalender, Navigationssystem, Farb- und Texterkennung, Apps zum Online-Shopping und -banking und den Internetzugang gleich inklusive – und es gibt noch viel mehr Dinge, die mir die Technik ermöglicht: Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig und in öffentlichen Verkehrsmitteln helfen mir dabei, mich zurechtzufinden, Blindenampeln sorgen für sichere Überquerungen von Straßen und Schienen …

     

    Ich kann mir ein Leben ohne Technik nicht vorstellen, auch wenn der technische Fortschritt und die stetige Weiterentwicklung und Optimierung im Umkehrschluss auch dafür sorgen, dass viele Herdplatten oder Waschmaschinen aufgrund ihres Touchscreens und einer fehlenden Sprachausgabe blind nicht oder nur eingeschränkt bedienbar sind und manche Websiten und Apps zwar grafisch wunderschön aussehen, deren Nutzung für blinde Menschen jedoch mit großen Barrieren verbunden sein können. Trotzdem glaube ich, dass Technik für mich in manchen Bereichen deutlich wichtiger als für Sehende ist. Ohne Technik könnte ich mein Leben nicht so leben, wie ich es lebe, denn sie ist in vielen Bereichen des Alltags für mich als Blinde unerlässlich.

     

    Hinweis: Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade „Wie Technik mein Leben verändert“ vom Blog „Anders und doch gleich“ teil, an dem ich selbst mitwirke. Schau daher auch gerne auf unserer Blogseite www.andersunddochgleich.de vorbei!